Die Mumie
besten Jahren. Und die Nase war schlank, nicht platt – aristokratisch nannten die Engländer das. Die Brauen waren vorstehend, die Augen selbst konnten nicht klein sein. Wahrscheinlich ein hübscher Mann. Eigentlich konnte daran kein Zweifel bestehen.
Irgend jemand sagte barsch, das Ding gehöre ins Museum.
Ein anderer, es wäre richtig gruselig. Wenn man überlegte, daß das Lawrences Freunde waren? Hancock begutachtete die Goldmünzen, die in einem samtverkleideten Schaukasten ausgestellt waren. Samir stand neben ihm.
Es schien ihm, als machte Hancock viel Aufhebens um etwas.
Elliott kannte den amtlichen Ton.
»Es waren fünf, wirklich nur fünf? Sind Sie sicher?« Und er sprach so laut, daß man hätte meinen können, Samir wäre taub.
»Es waren ganz sicher nur fünf, wie ich schon sagte«, erwiderte Samir mit einem Anflug von Gereiztheit. »Ich habe den gesamten Inhalt der Kammer persönlich katalogisiert.«
Jetzt wandte Hancock seinen Blick jemand anderem im Zimmer zu. Elliott stellte fest, daß es sich um Henry Stratford handelte, der in seinem taubengrauen Baumwollanzug und der schwarzen Seidenkrawatte wirklich prächtig aussah. Er lachte und unterhielt sich leicht nervös, wie es schien, mit Alex und Julie und anderen jungen Leuten, die er insgeheim verabscheute und ablehnte.
Gutaussehend wie immer, dachte Elliott. Gutaussehend wie als Zwanzigjähriger, doch das schmale, elegante Gesicht konnte sich blitzartig von trügerischer Verwundbarkeit zu be-
ängstigender Heimtücke wandeln.
Aber warum sah Hancock ihn so an? Und was flüsterte er Samir jetzt ins Ohr? Samir sah Hancock lange an, dann zuckte er lässig mit den Schultern und ließ den Blick ebenfalls langsam über Henry schweifen.
Wie Samir dies alles zuwider sein mußte, dachte Elliott. Wie ihm dieser unbequeme westliche Anzug zuwider sein mußte; er möchte seine gellebiyya aus gewässerter Seide und seine Pantoffeln, und er sollte sie auch haben. Wir müssen ihm wie Barbaren vorkommen.
Elliott begab sich in eine entlegene Ecke und setzte sich in Lawrences Ledersessel, den er an die Wand schob. Die Menge verteilte sich und zeigte wieder Henry, der sich von den anderen entfernte und unbehaglich von rechts nach links sah.
Er sah nicht aus wie ein Bühnenschurke, aber etwas führte er im Schilde, dessen war sich Elliott sicher.
Henry ging langsam an dem Marmortisch vorbei und hob die Hand, als wollte er die alten Schriftrollen berühren. Henry verschwand wieder in der Menge, aber Elliott wartete nur. Das kleine Knäuel von Personen vor ihm löste sich endlich auf, und da stand Henry, nur wenige Meter entfernt, und betrachtete ein Kollier auf einem kleinen Glasregal. Das Kollier gehörte zu den vielen Kunstgegenständen, die Lawrence vor Jahren nach Hause gebracht hatte.
Sah jemand, wie Henry das Kollier in die Hand nahm und sehnsüchtig wie ein Antiquitätenhändler betrachtete? Sah jemand, wie er es in die Tasche gleiten ließ und mit leerem Gesichtsausdruck und verkniffenem Mund weiterging?
Dreckskerl.
Elliott lächelte nur. Er trank einen Schluck des gekühlten Weißweins und wünschte sich, es wäre Sherry. Er wünschte sich, er hätte den kleinen Diebstahl nicht gesehen. Er wünschte sich, er hätte Henry nicht gesehen.
Seine eigenen heimlichen Erinnerungen an Henry hatten nie ihren schmerzlichen Biß verloren, was möglicherweise daran lag, daß er niemals irgend jemandem erzählt hatte, was geschehen war. Nicht einmal Edith, obschon er ihr viele anrüchige Dinge über sich erzählt hatte, und auch nicht dem katholischen Priester, den er ab und an besuchte und mit dem er so leidenschaftlich über Himmel und Hölle reden konnte wie sonst mit niemandem.
Er glaubte, wenn er diese dunklen Zeiten nicht immer wieder durchleben würde, würde er sie vergessen. Aber sie waren ihm selbst jetzt, zehn Jahre danach, noch in allzu deutlicher Erinnerung.
Er hatte Henry Stratford einmal geliebt. Und Henry Stratford war der einzige Liebhaber, der versucht hatte, ihn zu erpressen.
Was selbstverständlich gründlich in die Hose gegangen war.
Elliott hatte Henry ins Gesicht gelacht. Er hatte seinen Bluff auffliegen lassen. »Soll ich deinem Vater alles erzählen? Oder zuerst deinem Onkel Lawrence? Er wird wütend auf mich sein… etwa fünf Minuten lang. Aber dich, seinen Lieblingsnef-fen, wird er bis ins Grab verabscheuen, weil ich ihm alles sagen werde, weißt du, bis hin zu der Geldsumme, die du verlangt hast. Wieviel war es noch?
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