Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
Fünfhundert Pfund? Da-für, man stelle sich vor, hast du dich erniedrigt.«
    Wie mürrisch und verletzt Henry gewesen war, am Boden zerstört.
    Es hätte ein Triumph sein sollen, aber nichts nahm der Demü-

    tigung den Stachel. Henry mit zweiundzwanzig – eine Viper mit Engelsgesicht – wandte sich im gemeinsamen Hotel in Paris gegen Elliott, als wäre er ein gewöhnlicher Strichjunge aus der Gosse.
    Und dann die kleinen Diebstähle. Eine Stunde, nachdem Henry gegangen war, hatte Elliott festgestellt, daß sein Zigarettenetui, die Geldklammer und sein gesamtes Bargeld verschwunden waren. Sein Morgenmantel war fort, ebenso die Manschettenknöpfe. Und alle möglichen Gegenstände, an die er sich nicht mehr erinnern konnte.
    Er hatte es nie über sich bringen können, das ganze Desaster zu erzählen. Aber jetzt hätte er Henry gerne eingeheizt, sich hinter ihn geschlichen und ihn nach dem Kollier gefragt, das gerade den Weg in seine Tasche gefunden hatte. Hatte Henry vor, es zu dem goldenen Zigarettenetui, der wertvollen gravier-ten Geldklammer und den diamantenen Manschettenknöpfen zu legen? Oder würde er es in sein altes Pfandhaus bringen?
    Im Grunde genommen war alles furchtbar traurig. Henry war ein begabter junger Mann gewesen, doch alles war schiefgegangen, trotz Bildung und Herkunft und zahlloser Möglichkeiten. Er hatte angefangen zu spielen, als er praktisch noch ein Knabe war. Mit fünfundzwanzig war er dem Alkohol verfallen, und jetzt, mit zweiunddreißig, umgab ihn ständig eine bedrohliche Aura, die zwar sein gutes Aussehen betonte und ihn da-für um so widerwärtiger machte. Und wer mußte dafür leiden?
    Selbstverständlich Randolph, der ungeachtet aller Beweise der Meinung war, Henrys Niedergang wäre seine Schuld.
    Soll er doch zum Teufel gehen, dachte Elliott. Vielleicht hatte er bei Henry ein Fünkchen der Flamme gesucht, die er mit Lawrence erlebt hatte, und es war alles seine Schuld – den Onkel im Neffen zu sehen. Aber nein, es hatte von alleine angefangen. Und schließlich war Henry Stratford hinter ihm her gewesen. Ja, sollte Henry Stratford zum Teufel gehen.
    Schließlich war Elliott gekommen, um die Mumie zu sehen.
    Und die Menge war gerade wieder ein wenig zurückgewichen.
    Er schnappte sich ein frisches Weinglas von einem vorüber-huschenden Tablett, stand auf, achtete nicht auf den stechenden Schmerz in der linken Hüfte und ging zu der feierlichen Gestalt im Sarg zurück.
    Er betrachtete erneut das Gesicht, den grimmigen Mund und das markante Kinn. Wahrlich ein Mann im besten Alter. Und unter den straffen Bandagen war Haar auf dem wohlgeformten Schädel zu erkennen.
    Er hob grüßend das Weinglas.
    »Ramses«, flüsterte er und ging näher hin. Und dann sagte er auf lateinisch: »Willkommen in London. Weißt du, wo London ist?« Er lachte leise in sich hinein, weil er mit diesem Ding lateinisch redete. Dann zitierte er ein paar Sätze aus Cäsars Schilderung seiner Eroberung Britanniens. »Da bist du, großer König«, sagte er. Er unternahm einen halbherzigen Versuch, griechisch zu sprechen, doch das überstieg seine Fähigkeiten.
    Auf lateinisch sagte er: »Ich hoffe, dir gefällt die verdammte Stadt besser als mir.«
    Plötzlich vernahm er ein leises Rascheln. Woher war es gekommen? Seltsam, daß er es so deutlich gehört hatte, wo doch der durch die Unterhaltungen verursachte Lärm ein echtes Ärgernis war. Aber es hatte sich angehört, als wäre es aus dem Sarg selbst gekommen, direkt vor ihm.
    Er studierte nochmals das Gesicht. Dann Arme und Hände, die in dem brüchigen Leinen hingen, als würden sie jeden Moment herausfallen. Tatsächlich war ein deutlicher Riß in dem dunklen, schmutzigen Stoff zu sehen; dort, wo die Handgelenke überkreuzt waren, sah man ein Stück der Kleidung.
    Nicht gut. Das Ding verfiel vor seinen Augen. Oder es waren winzige Parasiten am Werk. Mußte man auf der Stelle unter-binden.
    Er sah auf die Füße der Mumie. Erschreckend. Ein winziges Staubhäufchen bildete sich unter seinem Blick – es fiel, hatte es den Anschein, von der verdrehten rechten Hand, wo die Bandagen so schlimm beschädigt waren.
    »Großer Gott, Julie muß sie unverzüglich ins Museum schik-ken«, flüsterte er. Und dann hörte er das Geräusch erneut.
    Rascheln? Nein, es war leiser. Ja, man mußte sich richtig um das Ding kümmern. Gott allein wußte, was die Londoner Feuchtigkeit anrichtete. Aber das wußte Samir doch sicherlich.
    Und Hancock.

    Er sprach die Mumie wieder auf

Weitere Kostenlose Bücher