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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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hinter ihr, ein charakterloser Mann mit militärischem Gewand der Römer.
    Ramses Gesicht bekam Farbe. Seine Augen hatten etwas Wildes, als er sich zu Julie umdrehte und dann wieder die Schilder in Druckbuchstaben unter der Gruppe las.
    Warum hatte sie nicht daran gedacht, daß diese Figuren hier sein würden? Als er von der Glasscheibe zurückwich, ergriff sie seine Hand. Er drehte sich um und prallte fast mit einem Paar zusammen, das ihm den Weg versperrte. Der Mann sagte etwas Drohendes, aber Ramses schien ihn nicht zu hören.
    Er eilte zum Ausgang. Julie lief ihm hinterher.
    Als sie die Straße erreichten, schien er wieder ruhiger zu werden. Er sah auf den vorbeifließenden Verkehr. Er griff nach ihrer Hand, ohne sie anzusehen, dann schlenderten sie gemeinsam weiter, bis sie zu einer Baustelle kamen. Der große Betonmischer drehte sich. Hammerschläge hallten gegen ferne Hauswände.
    Ein schwaches, bitteres Lächeln huschte über seine Züge.
    Julie winkte eine vorbeifahrende Droschke herbei.
    »Wohin sollen wir fahren?« sagte sie. »Sag mir, was du sehen möchtest?«
    Er betrachtete eine Bettlerin, eine zerlumpte Gestalt in zer-schlissenen Schuhen, die die Hand ausstreckte, als sie vorbeigingen.
    »Die Armen«, sagte er und sah die Frau an. »Warum sind die Armen immer noch da?«
    Sie fuhren schweigend durch Kopfsteinpflasterstraßen. Wä-
    schestücke auf der Leine verbargen den grauen, naßkalten Himmel. Der Geruch von offenen Feuerstellen stieg in den Gassen auf. Barfüßige Kinder mit schmutzigen Gesichtern sahen ihnen nach.
    »Aber kann all der Wohlstand diesen Menschen nicht helfen?
    Sie sind so arm wie die Bauern in meinem Land.«
    »Manche Dinge ändern sich nie«, sagte Julie.
    »Und dein Vater? War er ein reicher Mann?«
    Sie nickte. »Er hat eine große Schiffahrtsgesellschaft aufgebaut – Schiffe, die Handelswaren von Indien und Ägypten nach England und Amerika transportieren. Schiffe, die um die Welt segeln.«
    »Wegen dieses Reichtums wollte Henry dich töten, so wie er deinen Vater im Grab getötet hat.«
    Julie sah starr geradeaus. Es schien, als könnten die Worte ihr auch noch den letzten Rest Selbstbeherrschung rauben. Dieser Tag, dieses Abenteuer, hatte sie in ungeahnte Höhen getragen, und jetzt spürte sie, wie sie wieder nach unten sank.
    Henry hat Vater ermordet. Es war ihr unmöglich zu sprechen.
    Ramses nahm ihre Hand in die seine.
    »Es hätte für uns alle gereicht«, sagte sie mit gequälter Stimme. »Für mich und für Henry und für Henrys Vater.«
    »Und doch hat dein Vater in Ägypten nach Schätzen gegraben.«
    »Aber nicht um reich zu werden!« Sie sah ihn scharf an. »Er hat Ausgrabungen gemacht, um Spuren der Vergangenheit zu finden. Deine Aufzeichnungen haben ihm mehr bedeutet als die Ringe an deinen Fingern. Die Geschichte, die du erzählt hast, die war sein Schatz. Sie und der bemalte Sarg, der aus deiner Zeit stammte.«
    »Archäologie«, sagte Ramses.
    »Ja.« Sie mußte unwillkürlich lächeln. »Mein Vater war kein Grabräuber.«
    »Ich verstehe dich. Werd nicht wütend.«

    »Er war ein Gelehrter«, sagte sie etwas freundlicher. »Er hatte genügend Geld. Wenn er einen Fehler gemacht hat, dann den, daß er seine Firma seinem Bruder und seinem Neffen überlassen hat, aber er hat sie fürstlich bezahlt.«
    Sie verstummte. Plötzlich fühlte sie sich niedergeschlagen.
    Trotz der Euphorie wußte sie, was geschehen war. Der Schmerz hatte gerade erst angefangen.
    »Etwas ist schiefgegangen«, flüsterte sie.
    »Habgier«, sagte er. »Bei Habgier geht immer etwas schief.«
    Er sah zum Fenster hinaus zu den trüben, zerbrochenen Scheiben über ihnen. Üble Gerüche stiegen aus Pfützen und Torbögen auf. Der Gestank von Urin und Fäulnis.
    Sie selbst war noch nie in diesem Teil von London gewesen.
    Der Anblick stimmte sie traurig und verschlimmerte ihren Schmerz.
    »Diesem Henry müßte Einhalt geboten werden«, sagte Ramses mit Nachdruck, »bevor er wieder versucht, dir etwas zuleide zu tun. Und du möchtest doch bestimmt, daß der Tod deines Vaters gerächt wird.«
    »Onkel Randolph wird es nicht überleben, wenn er erfährt, was passiert ist. Das heißt, falls er es nicht schon weiß.«
    »Der Onkel – der heute morgen so besorgt zu dir gekommen ist… er ist unschuldig und fürchtet um seinen Sohn. Aber Cousin Henry ist böse. Und das Böse ist außer Kontrolle geraten.«
    Sie zitterte. Tränen standen ihr in den Augen.
    »Ich kann jetzt nichts machen. Er ist mein

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