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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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gestorben. Das Ding hat ihn nicht getötet! Es ist Wahnsinn.«
    »Gab es auch nur den geringsten Beweis für Gewaltanwen-dung?«
    »Beweis? Nein. Aber dieses Grab hatte so eine Aura, und der Fluch stand auf dem Sarkophag der Mumie geschrieben. Das Ding wollte in Ruhe gelassen werden. Die Sonne. Es wollte keine Sonne. Es hat verlangt, in Frieden ruhen zu dürfen. Das verlangen die Toten immer.«
    »Wirklich?« fragte Elliott. »Wenn ich tot wäre, ich bin nicht sicher, ob ich dann in Frieden gelassen werden wollte. Das heißt, wenn es hieße, wirklich nur tot zu sein.«
    »Unsere Phantasie geht mit uns durch, Lord Rutherford. Au-
    ßerdem… Henry Stratford war in der Gruft, als Lawrence gestorben ist!«
    »Hmmmmmm. Das stimmt. Und Henry hat erst heute morgen gesehen, wie sich unser zerlumpter, ausgetrockneter Freund bewegt hat und gewandelt ist.«
    »Diese Geschichte gefällt mir nicht. Ganz und gar nicht. Es gefällt mir auch nicht, daß Miss Stratford mit diesen Dingen allein im Haus ist.«
    »Vielleicht sollte das Museum der Sache weiter nachgehen«, sagte Elliott. »Die Mumie untersuchen. Immerhin ist das Ding furchtbar wertvoll.«
    Samir antwortete nicht. Er war wieder in diesen sprachlosen Zustand versunken und starrte auf den Schreibtisch vor sich.
    Elliott umklammerte den Gehstock fest und stand auf. Es gelang ihm immer besser, die Schmerzen, die mit diesem einfachen Vorgang verbunden waren, zu verbergen. Aber er mußte einige Augenblicke reglos stehenbleiben und darauf warten, daß die Schmerzen nachließen. Er drückte langsam die Zigarette aus.
    »Danke, Samir. Es war eine überaus interessante Unterhaltung.«
    Samir sah auf, als würde er aus einem Traum erwachen.
    »Was zum Teufel geht hier vor, Lord Rutherford!« Er stand ebenfalls langsam auf.
    »Möchten Sie meine ehrliche Meinung hören?«
    »Ja, selbstverständlich.«
    »Ramses der Zweite ist unsterblich. Er hat in grauer Vorzeit ein Geheimnis entdeckt, ein Elixier, das ihn unsterblich machte. Und er geht in eben diesem Augenblick mit Julie in London spazieren.«
    »Das ist nicht Ihr Ernst.«
    »O doch«, sagte Elliott. »Aber ich glaube auch an Gespenster und Geister und Pech. Ich werfe mir Salz über die Schulter und klopfe ständig auf Holz. Sehen Sie, es würde mich überraschen – nein, begeistern -, wenn sich dies alles als wahr erweisen würde. Ich glaube, daß es wahr ist. Im Augenblick bin ich davon überzeugt. Und ich will Ihnen auch den Grund dafür nennen. Es ist die einzige Erklärung für alles, die wirklich einen Sinn ergibt.«

    Wieder Sprachlosigkeit.
    Elliott lächelte. Er zog die Handschuhe an, ergriff den Gehstock und verließ das Büro, als würde ihm nicht jeder Schritt Schmerzen bereiten.

    Dies war das größte Abenteuer ihres Lebens. Es gab nichts Vergleichbares, dessen war sie sich sicher. Und wie faszinierend, daß es in London geschah, zur Mittagszeit, während sie durch die lärmenden, überfüllten Straßen fuhr, die sie schon ihr ganzes Leben lang kannte.
    Die große, rußige Stadt hatte noch niemals zuvor einen magi-schen Eindruck auf sie gemacht. Aber jetzt schon. Und wie sah er sie, diese riesige Metropole mit ihren hohen Backstein-gebäuden, den dröhnenden Straßenbahnen und rülpsenden Automobilen und Horden dunkler Pferdedroschken und Taxen, die jede Straße verstopften? Was hielt er von den Reklame-schildern, den Plakaten jedweder Größe, auf denen Waren, Dienstleistungen, Anweisungen, Ratschläge angeboten wurden? Fand er die düsteren Geschäfte mit ihren Kleiderstapeln häßlich? Was hielt er von den kleinen Läden, wo den ganzen Tag elektrisches Licht brannte, weil die Straßen selbst so dunkel und rußig waren, daß das natürliche Tageslicht nicht bis zu ihnen vordrang?
    Er liebte es. Er fand Gefallen daran. Nichts machte ihm angst oder stieß ihn ab. Er sprang vom Bordstein und legte eine Hand auf Autos. Er stieg die Wendeltreppen der Omnibusse hinauf, damit er eine bessere Aussicht hatte. Er stürzte ins Telegrafenamt und betrachtete die junge Sekretärin an der Schreibmaschine. Und sie, auf der Stelle bezaubert von diesem blauäugigen Hünen, lehnte sich zurück und ließ ihn mit seinen kräftigen Fingern selbst auf die Tasten drücken. Er schrieb Sätze auf lateinisch, die ihn so sehr zum Lachen brachten, daß er nicht mehr weitermachen konnte.
    Julie geleitete ihn in die Büros der Times. Er mußte die riesigen Druckerpressen sehen, die schwarze Tinte riechen, den ohrenbetäubenden Lärm hören,

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