Die Mumie
wenn er wollte. Vielleicht würden sie mit dem Zug aufs Land fahren.
Zum Tower von London konnten sie gehen. Es gab so viele Möglichkeiten, so viele, viele Möglichkeiten…
Und dann kam dieses große, wunderbare Ende aller Gedanken. Sie sah ihn. Sie sah ihn und sich vereint.
Samir saß schon über eine Stunde an seinem Schreibtisch. Er hatte eine halbe Flasche Pernod getrunken, einen Likör, den er gerne trank, seit er ihn in einem französischen Cafe in Kairo entdeckt hatte. Aber er war nicht betrunken, er hatte lediglich die kribbelnde Erregung gedämpft, die ihn ergriffen hatte, nachdem er das Haus der Stratfords verlassen hatte. Aber immer, wenn er versuchte, über das Geschehene nachzudenken, stellte sich diese Erregung unverzüglich wieder ein.
Plötzlich erschreckte ihn ein Klopfen am Fenster. Sein Büro lag im hinteren Teil des Museums. Und das einzige Licht im ganzen Gebäude war sein Licht.
Er konnte die Gestalt draußen nicht sehen. Aber er wußte, wer es war. Und er war schon aufgesprungen, bevor es ein zweites Mal klopfte. Er ging auf den hinteren Flur und zu einer Seitentür, die zu einer Gasse führte.
Ramses der Große stand im nassen Regenmantel und mit bis auf die Brust offenem Hemd vor ihm und wartete. Samir trat in die Dunkelheit hinaus. Der Regen hatte einen feuchten Glanz auf den Steinmauern und dem Pflaster hinterlassen. Aber nichts schien so zu strahlen wie diese große, befehlsgewohnte Gestalt vor ihm.
»Was kann ich für Sie tun, Sire?« fragte Samir. »Welche Dienste kann ich Ihnen anbieten?«
»Ich möchte eintreten, Aufrichtiger«, sagte Ramses. »Wenn du gestattest, möchte ich gerne die anderen Relikte meiner Vorfahren und meiner Kinder sehen.«
Bei diesen Worten lief ein wohliger Schauer durch Samir. Er spürte, wie ihm Tränen in die Augen traten. Er hätte dieses bittersüße Glücksgefühl niemandem erklären können.
»Mit Vergnügen, Sire«, sagte er. »Ich will Ihr Führer sein. Es ist mir eine große Ehre.«
Elliott sah das Licht in Randolphs Bibliothek. Er parkte das Auto am Bordstein, direkt neben dem alten Stallgebäude, stieg aus und schaffte es irgendwie, die Treppe hinaufzugehen und zu läuten. Randolph selbst machte ihm in Hemdsärmeln und mit schalem Weingeruch im Atem die Tür auf.
»Großer Gott, hast du eine Ahnung, wie spät es ist?« fragte er. Er drehte sich um und gestattete Elliott, ihm in die Bibliothek zu folgen. Was für ein stattliches Zimmer, in dem sich alles befand, was man für Geld kaufen konnte, einschließlich Stichen von Hunden und Pferden und Landkarten, die nie jemand ansah.
»Ich will dir gleich die Wahrheit sagen. Für alles andere bin ich zu müde«, sagte Randolph. »Du bist zum richtigen Zeitpunkt gekommen, mir eine sehr wichtige Frage zu beantworten.«
»Und die wäre?« sagte Elliott. Er sah zu, wie Randolph sich an seinem Schreibtisch niederließ, einem gewaltigen, monströsen Ding aus Mahagoni mit klobigen Schnitzereien. Überall auf der Tischplatte lagen Dokumente und Rechnungsbü-
cher. Stapelweise Rechnungen. Und ein großes, häßliches Telefon, und Lederkästchen für Büroklammern, Federhalter, Notizpapier.
»Die alten Römer«, sagte Randolph. Er lehnte sich zurück und nahm einen Schluck Wein, ohne daran zu denken, Elliott welchen anzubieten. »Was haben die gemacht, wenn sie entehrt waren, Elliott? Sie haben sich die Pulsadern aufgeschnitten, stimmt’s? Und sind ehrenvoll verblutet.«
Elliott betrachtete den Mann, seine blutunterlaufenen Augen, die zitternden Hände. Dann stand er mit Hilfe des Gehstocks wieder auf. Er ging zum Schreibtisch und schenkte sich ein Glas Wein aus der Karaffe ein. Er füllte Randolphs Glas nach und ging dann wieder zu seinem Sessel.
Randolph beobachtete das alles vollkommen teilnahmslos. Er stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und strich sich mit den runzligen Fingern durch das graue Haar, während er den Stapel Unterlagen vor sich betrachtete.
»Wenn ich mich recht erinnere«, sagte Elliott, »hat sich Brutus in sein eigenes Schwert gestürzt. Markus Antonius hat später dasselbe versucht, was aber gründlich danebengegangen ist.
Dann ist er an einem Seil in Kleopatras Schlafgemach geklettert. Dort ist es ihm dann irgendwie gelungen, sich noch einmal zu töten oder endlich zu sterben. Sie hat sich für das Gift einer Schlange entschieden. Aber um deine Frage zu beantworten, ja, die Römer haben sich von Zeit zu Zeit die Pulsadern aufgeschlitzt, das stimmt. Aber du wirst
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