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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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nächtliche Wanderungen gewöhnt hatte, störte sie nicht.
    »Die wahren Schätze befinden sich in Ägypten«, sagte Samir.
    »Die Gebeine der Könige. Dies hier ist nur ein Bruchteil dessen, was vor Plünderung und Verwesung gerettet wurde.«
    Ramses blieb stehen. Er betrachtete einen ptolemäischen Sarkophag, einen jener eigentümlichen Zwitter, die aus einem ägyptischen Sarg bestanden, auf den ein griechisches Antlitz und nicht die stilisierte Maske früherer Jahrhunderte aufgemalt war. Dies war der Sarg einer Frau.
    »Ägypten«, flüsterte Ramses. »Plötzlich kann ich wegen der Vergangenheit die Gegenwart nicht mehr sehen. Ich bin nicht wirklich in diesem Zeitalter, bevor ich mich nicht endgültig von dem anderen verabschiedet habe.«
    Samir zitterte in der Dunkelheit. Die süße Traurigkeit wich wieder der Furcht, diesem tiefen stummen Grauen ob dieses unnatürlichen Dings, von dessen Aufrichtigkeit er nun überzeugt war. Es war kein Irrtum möglich.
    Der König drehte den ägyptischen Sälen den Rücken zu.
    »Bring mich hinaus, mein Freund«, sagte er. »Ich habe mich in diesem Labyrinth verirrt. Die Idee eines Museums gefällt mir nicht.«
    Samir schritt rasch an seiner Seite dahin und ließ den Lichtke-gel der Lampe vor ihnen über den Boden huschen.
    »Sire, wenn Sie nach Ägypten gehen wollen, tun Sie es gleich.
    Dies ist mein Rat, obwohl ich weiß, daß Sie ihn nicht verlangt haben. Nehmen Sie, wenn Sie wollen, Julie Stratford mit. Aber verlassen Sie England.«
    »Warum sagst du das?«
    »Die Behörden wissen, daß Münzen aus der Sammlung gestohlen worden sind! Sie verlangen die Mumie von Ramses dem Großen. Es wird viel geredet und geargwöhnt.«
    Samir sah den bedrohlichen Gesichtsausdruck von Ramses.
    »Wieder der verfluchte Henry Stratford«, sagte er leise und ging ein klein wenig schneller. »Er hat seinen Onkel vergiftet, einen klugen und weisen Mann. Sein eigen Fleisch und Blut.

    Und er hat ihm eine Goldmünze gestohlen, während dieser noch im Sterben lag.«
    Samir blieb stehen. Der Schock war mehr, als er ertragen konnte. Er wußte sofort, daß es die Wahrheit war. Als er den Leichnam seines Freundes gefunden hatte, hatte er gleich gewußt, daß etwas durch und durch faul war. Es war kein na-türlicher Tod gewesen. Aber er hatte Henry Stratford geglaubt, einem Feigling. Er holte ganz langsam Luft. Er betrachtete die hochgewachsene Gestalt, die neben ihm im Dunkeln stand.
    »Das also wollten Sie mir im Haus der Stratfords sagen«, flü-
    sterte er. »Und ich wollte es nicht glauben.«
    »Ich habe es gesehen, mein geliebter Untertan«, sagte der König. »Mit eigenen Augen. So wie ich gesehen habe, wie du an den Leichnam deines Freundes Lawrence herangetreten bist und geweint hast. Das alles hat sich mit meinen Träumen vermischt, doch ich kann mich in aller Deutlichkeit daran erinnern.«
    »Aber die Tat darf nicht ungesühnt bleiben«, sagte Samir zitternd.
    Ramses legte ihm eine Hand auf die Schulter. Langsam gingen sie weiter.
    »Und dieser Henry Stratford kennt mein Geheimnis«, sagte Ramses. »Seine Geschichte entsprach der Wahrheit. Denn als er auf dieselbe Weise versuchte, seiner Cousine das Leben zu nehmen, bin ich aus meinem Sarg gestiegen, um es zu verhindern. Hätte ich nur schon meine volle Stärke besessen, dann hätte ich ihm schon da ein Ende bereitet. Ich hätte ihn persönlich balsamiert und bandagiert und in den bemalten Sarg gestellt, damit alle Welt ihn für Ramses hält.«
    Samir lächelte bitter. »Eine gerechte Strafe«, sagte er atemlos. Er spürte, wie die Tränen über sein Gesicht liefen, aber er spürte nicht die Erleichterung, die Tränen sonst mit sich bringen. »Und was werden Sie nun machen, Sire?«
    »Ihn töten. Für Julie und für mich. Es gibt keine andere Möglichkeit.«
    »Sie warten auf eine Gelegenheit?«
    »Ich warte auf die Erlaubnis. Julie Stratford besitzt das empfindliche Gewissen eines Menschen, der nicht an Blutvergie-

    ßen gewöhnt ist. Sie liebt ihren Onkel und scheut vor Gewalt-anwendung zurück. Ich verstehe ihre Gründe, aber ich werde ungeduldig. Und wütend. Ich möchte nicht, daß dieser Henry uns weiter bedroht.«
    »Und was ist mit mir? Ich kenne Ihr Geheimnis auch, Sire.
    Werden Sie mich töten, um es zu bewahren?«
    Ramses blieb wie angewurzelt stehen. »Ich erbitte keine Ge-fälligkeiten von denen, die ich töten will. Aber sage mir, bei deiner Ehre, wer kennt die Wahrheit sonst noch?«
    »Lord Rutherford, der Vater des jungen

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