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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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darüber, daß du etwas viel Besseres verdient hast als eine moderne junge Frau wie mich, die dir wahrscheinlich schon im ersten Ehejahr graue Haare verschafft und dafür sorgt, daß du dich in die Ar-me einer altmodischen Geliebten stürzt.«
    »Ich weiß, es gefällt dir, schockierend zu sein«, sagte er. »Und mir gefällt es, mich schockieren zu lassen.«
    »Aber gefällt es dir denn wirklich, schockiert zu werden?«
    Plötzlich küßte er sie. Sie waren mitten auf der Tanzfläche stehengeblieben, die anderen Paare wirbelten im Takt der Musik um sie herum. Er küßte sie, und sie ließ es zu, gab sich ihm rückhaltlos hin, als müßte sie ihn irgendwie lieben; ihm irgendwie auf halbem Weg entgegenkommen.
    Es war einerlei, daß die anderen sie anstarrten. Es war einerlei, daß seine Hände zitterten, mit denen er sie hielt.
    Wichtig war allein, daß ihre Liebe, obwohl sie ihn schrecklich liebte, nicht groß genug war.

    Jetzt war es kühl. Draußen war es laut; Autos fuhren vor. Ein Esel iaahte; das schrille, hohe Lachen einer Frau, einer Amerikanerin, die den ganzen Weg von Kairo hierher gekommen war, sobald sie es erfahren hatte.
    Lawrence und Samir saßen gemeinsam auf ihren Klappstühlen an dem uralten Schreibtisch und hatten die Papyrusrollen vor sich ausgebreitet.
    Lawrence, der sorgsam darauf achtete, nicht sein ganzes Gewicht auf das zerbrechliche Möbelstück zu verlagern, kritzelte hastig seine Übersetzungen in ein ledergebundenes Buch.
    Ab und zu sah er über die Schulter zu der Mumie, dem großen König, der für alle Welt aussah, als schliefe er nur. Ramses der Unsterbliche! Allein die Vorstellung beflügelte Lawrence.
    Er wußte, er würde bis zur Dämmerung in dieser seltsamen Kammer sein.
    »Aber es muß eine Täuschung sein«, sagte Samir. »Ramses der Große, der seit tausend Jahren die königlichen Familien von Ägypten bewacht. Der Liebhaber der Kleopatra?«
    »Ah, aber es ist doch auf hehre Weise logisch!« entgegnete Lawrence. Er legte den Federhalter einen Augenblick weg und betrachtete die Papyrusrollen. Seine Augen taten so weh.
    »Wenn es je eine Frau gegeben hat, die einen unsterblichen Mann dazu bewegen konnte, sich begraben zu lassen, dann kann nur Kleopatra diese Frau gewesen sein.«
    Er betrachtete die Marmorbüste vor sich, strich zärtlich über die glatte weiße Wange von Kleopatra. Ja, Lawrence konnte es glauben. Kleopatra, Geliebte von Julius Cäsar und Geliebte von Markus Antonius; Kleopatra, die sich der römischen Eroberung Ägyptens länger widersetzt hatte, als es jeder für möglich gehalten hätte; Kleopatra, die letzte Herrscherin Ägyptens in der alten Welt. Aber die Geschichte – er mußte mit seiner Übersetzung fortfahren…
    Samir stand auf und streckte sich unbehaglich. Lawrence beobachtete ihn, wie er zu der Mumie schritt. Was machte er?
    Untersuchte er die Bandagen über den Fingern, untersuchte er den gleißenden Skarabäusring, der an der rechten Hand leuchtete? Dabei handelte es sich um ein Schmuckstück der neunzehnten Dynastie, das konnte nun niemand bestreiten, dachte Lawrence.
    Lawrence machte die Augen zu und massierte sich sanft die Lider. Dann schlug er die Augen auf und konzentrierte sich wieder auf die Schriftrolle vor sich.
    »Samir, ich muß Ihnen sagen, der Bursche überzeugt mich.
    Ein derartiges Sprachtalent würde jeden betören. Und seine philosophischen Ansichten sind so modern wie meine eigenen.« Er griff nach dem älteren Dokument, das er zuvor studiert hatte. »Und ich möchte, Samir, daß Sie sich das hier ansehen. Es ist nichts anderes als ein Brief von Kleopatra an Ramses.«
    »Ein Streich, Lawrence. Ein kleiner römischer Witz.«
    »Nein, mein Freund, ganz und gar nicht. Sie hat diesen Brief aus Rom geschrieben, als Cäsar ermordet wurde! Sie hat Ramses mitgeteilt, daß sie zu ihm kommen würde, nach Ägypten.«
    Er legte den Brief beiseite. Wenn Samir Zeit hatte, würde er selbst sehen, was in diesen Dokumenten stand. Alle Welt würde es sehen. Er wandte sich wieder der ursprünglichen Rolle zu.
    »Aber hören Sie sich das an, Samir – Ramses letzte Gedanken: ›Man kann die Römer ob der Eroberung Ägyptens nicht verdammen, letztendlich wurden wir von der Zeit selbst erobert. Und alle Wunder dieses schönen neuen Zeitalters sollten mich aus meinem Kummer reißen, und dennoch vermag ich nicht, mein Herz zu heilen, und darum leidet auch der Verstand. Der Verstand schließt sich wie eine Blume ohne Sonne.‹«
    Samir betrachtete

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