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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Etwas durch und durch Verderbtes war in Henry Stratford, das schon immer da gewesen war. In Randolph war nur sehr wenig Verderbtes. Daher war es eine Tragödie, und Elliott, der seinen Sohn Alex über alle Maßen liebte, konnte diesbezüglich nur Mitleid für Randolph empfinden.
    Weitere Beschwichtigungen; ein ganzer Schwall von Beschwichtigungen. Du wirst deine zwanzigtausend Pfund bekommen. Aber Elliott hörte nicht mehr zu. Er betrachtete wieder die Tänzer – seinen guten und sanftmütigen Sohn, der Julie leidenschaftlich ins Ohr flüsterte; ihr Gesicht nahm dabei einen Ausdruck der Entschlossenheit an, welcher ihr, aus Gründen, die Elliott nie richtig verstand, außerordentlich schmeichelte.
    Manche Frauen mußten lächeln, um hübsch zu sein. Manche Frauen mußten weinen. Aber bei Julie zeigte sich die strahlende Schönheit nur, wenn sie ernst war – vielleicht weil ihre braunen Augen sonst zu sanft waren, ihr Mund zu unschuldig, die porzellanähnlichen Wangen zu glatt.
    Aber in ihrer Entschlossenheit glich sie einer Vision. Und Alex schien trotz seiner Herkunft und trotz seiner dargebotenen Leidenschaft nicht mehr als »ein Partner« für sie zu sein; einer von tausend eleganten jungen Männern, die sie über die Tanzfläche hätten führen können.

    Es war der »Morgenzeitungswalzer«, den Julie liebte und schon immer geliebt hatte. Sie erinnerte sich plötzlich daran, wie sie den »Morgenzeitungswalzer« einmal mit ihrem Vater getanzt hatte. Damals, als sie ihr erstes Grammophon nach Hause gebracht hatten, hatten sie durch das Ägyptische Zimmer und die Bibliothek und die Ankleidezimmer getanzt – sie und Vater -, bis Licht durch die Jalousien fiel und er sagte:
    »Oh, mein Liebes, ich kann nicht mehr. Ich kann nicht mehr.«
    Jetzt machte die Musik sie schläfrig und fast traurig. Und Alex redete unaufhörlich auf sie ein und erzählte ihr auf vielerlei Weise,
    daß er sie liebte; sie aber verspürte nur Panik; sie hatte Angst, kalte oder schroffe Worte auszusprechen.
    »Und wenn du in Ägypten leben«, sagte Alex atemlos, »und mit deinem Vater nach Mumien graben möchtest, dann gehen wir eben nach Ägypten. Wir fahren gleich nach der Hochzeit.
    Und wenn du für das Frauenwahlrecht marschieren willst, nun, dann werde ich an deiner Seite marschieren.«
    »Ja, ja«, antwortete Julie, »das sagst du jetzt, und ich weiß, es ist dir ernst damit, aber ich bin noch nicht so weit, Alex. Ich kann nicht.«
    Sie ertrug es nicht, ihn so todernst zu sehen. Sie ertrug es nicht, ihn verletzt zu sehen. Wenn Alex nur ein bißchen Gemeinheit in sich gehabt hätte; nur ein klein wenig Böses, wie alle anderen auch. Ein wenig Gemeinheit hätte sein gutes Aussehen noch verbessert. Er war schlank, groß, braunhaarig und zu engelsgleich. Seine raschen, dunklen Augen offenbar-ten zu leicht seine ganze Seele. Mit fünfundzwanzig war er ein eifriger, unschuldiger Junge.
    »Was möchtest du denn mit einer Suffragette als Frau?« fragte sie. »Mit einer Forscherin? Weißt du, ich könnte durchaus Forscherin oder Archäologin werden. Ich wünschte, ich wäre jetzt bei Vater in Ägypten.«
    »Liebes, wir gehen dorthin. Laß uns vorher heiraten.«
    Er beugte sich nach vorne, so als wollte er sie küssen, aber sie wich einen Schritt zurück; der Walzer wirbelte sie beide fast tollkühn schnell voran, und einen Augenblick fühlte sie sich beschwingt und fast so, als wäre sie wirklich verliebt.
    »Was kann ich tun, um deine Zuneigung zu gewinnen, Julie?«
    flüsterte er ihr ins Ohr. »Ich bringe dir die Pyramiden nach London.«
    »Alex, du hast meine Zuneigung schon längst gewonnen«, sagte sie lächelnd. Aber das war eine Lüge, oder nicht? Dieser Augenblick hatte etwas wahrhaft Schreckliches an sich – die Musik mit ihrem lieblichen, mitreißenden Rhythmus und der verzweifelte Gesichtsausdruck von Alex.
    »Es ist schlicht und einfach so… ich will nicht heiraten. Noch nicht.« Und vielleicht überhaupt nie?
    Er antwortete ihr nicht. Sie war zu unverblümt gewesen, viel zu deutlich. Sie kannte diese plötzliche Verschlossenheit. Es war nicht unmännlich, sondern im Gegenteil männlich. Sie hatte ihm weh getan, und wenn er sie jetzt anlächelte, lagen ein Liebreiz und eine Tapferkeit auf seinem Gesicht, die sie rührten und gleichzeitig traurig stimmten.
    »Vater wird in ein paar Monaten zurück sein, Alex. Dann reden wir über alles. Über die Ehe, die Zukunft, die Rechte der Frauen, ob verheiratet oder unverheiratet, und

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