Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
zum Schweigen zu bringen. Konnte das wirklich die Gruft von Ramses II. sein? Würde Lawrence ein Interview geben?
    Das war Henry scheißegal. Er drängte sich an den Männern vorbei, die den Eingang zum Grab bewachten.
    »Mr. Stratford, bitte«, rief Samir ihm nach. Eine Reporterin folgte ihm auf den Fersen. »Lassen Sie Ihren Onkel jetzt in Ruhe«, sagte Samir. »Lassen Sie ihn seinen Fund ausko-sten.«
    »Einen Dreck werd’ ich.«
    Er sah den Wächter, der ihm den Weg versperrte, finster an.
    Der Mann wich zurück. Samir drehte sich um und hielt die Reporter zurück. Sie waren neugierig, wer da in das Grab ging.
    »Dies ist eine Familienangelegenheit«, sagte er rasch und kalt zu der Reporterin, die ihm folgen wollte. Der Wächter verstellte ihr den Weg.

    So wenig Zeit. Lawrence hörte auf zu schreiben, wischte sich gründlich die Stirn ab, legte das Taschentuch zusammen und schrieb eine letzte kurze Anmerkung:
    »Brillant, das Elixier zwischen Giften aufzubewahren. Gibt es einen sichereren Platz für einen Trank, der Unsterblichkeit bringt, als zwischen Arzneien, die den Tod bringen? Und wenn man bedenkt, daß es ihre Gifte waren – diejenigen, die Kleopatra ausprobiert hat, bevor sie beschloß, sich mit dem Gift der Natter das Leben zu nehmen.«
    Er hielt inne und wischte sich wieder die Stirn ab. Es war schon wieder so heiß hier drinnen. Und in wenigen Stunden würden sie zu ihm kommen und verlangen, daß er das Grab den Angestellten des Museums überließ. Ach, hätte er die Entdeckung doch ohne das Museum gemacht. Weiß Gott, er hatte es nicht gebraucht. Und jetzt würden sie ihm alles aus der Hand nehmen.
    Sonnenlicht fiel in feinen Strahlen durch den herausgehaue-nen Eingang. Es fiel auf die Alabastergefäße vor ihm, und ihm war, als hörte er etwas – leise, gleich einem geflüsterten Atemzug.
    Er drehte sich um und betrachtete die Mumie, die Gesichtszü-
    ge, die so deutlich unter den engen Bandagen abgezeichnet waren. Der Mann, der behauptete, Ramses zu sein, war groß gewesen und wahrscheinlich robust.
    Kein alter Mann wie das Wesen, das im Museum von Kairo lag. Doch dieser Ramses hatte von sich behauptet, er wäre niemals alt geworden. Er sei unsterblich und schliefe lediglich in diesen Bandagen. Nichts könne ihn umbringen, nicht einmal die Gifte in dieser Kammer, die er in allen erdenklichen Mengen versucht hatte, als er halb wahnsinnig vor Trauer um Kleopatra gewesen war. Auf sein Geheiß hin hatten die Diener den bewußtlosen Leib bandagiert; sie hatten ihn lebendig in dem Sarkophag begraben, den er für sich vorbereitet hatte; er hatte alle Einzelheiten überwacht; dann hatten sie das Grab mit der Tür versiegelt, deren Inschrift er persönlich angefertigt hatte.
    Aber was hatte ihn in Bewußtlosigkeit gehalten? Das war das Geheimnis. Ah, welch köstliche Geschichte. Und was, wenn…?
    Er stellte fest, daß er die grimmige Kreatur in ihren gelben Leinenbandagen anstarrte. Glaubte er wirklich, daß da etwas am Leben war? Etwas, das sich bewegen und sprechen konnte?
    Lawrence mußte lächeln.

    Er drehte sich wieder zu den Gefäßen auf dem Tisch um. Die Sonne verwandelte die kleine Kammer in ein Inferno. Er nahm das Taschentuch und hob vorsichtig den Deckel des ersten Glases vor sich. Geruch von Bittermandel. Etwas so Tödliches wie Zyanid.
    Und der unsterbliche Ramses behauptete, er hätte sich den halben Inhalt dieses Glases einverleibt, um sein verfluchtes Leben zu beenden.
    Und wenn sich wirklich ein unsterbliches Wesen unter diesen Bandagen verbarg?
    Da war das Geräusch wieder. Was war es? Kein Rascheln; nein, nicht so deutlich. Mehr wie ein Einatmen.
    Er sah erneut zu der Mumie. Die Sonne schien mit langen, wunderschönen, staubigen Strahlen darauf – die Sonne, wie sie durch Kirchenfenster oder durch die Zweige alter Eichen in schattigen Waldlichtungen fiel.
    Es schien, als könnte er den Staub von der uralten Gestalt emporsteigen sehen: ein blaßgoldener Nebel aus beweglichen Teilchen. Ah, er war zu müde!
    Und das Ding sah auch nicht mehr so verschrumpelt aus; es hatte vielmehr die Konturen eines Menschen angenommen.
    »Aber was warst du wirklich, mein vorgeschichtlicher Freund?« fragte Lawrence leise. »Verrückt? Irregeleitet? Oder nur das, was du zu sein vorgibst – Ramses der Große?«
    Ihn schauderte, als er die Worte aussprach. Er stand auf und ging näher zu der Mumie.
    Die Strahlen der Sonne überfluteten das Ding jetzt eindeutig.
    Zum ersten Mal fielen ihm die Konturen

Weitere Kostenlose Bücher