Die Muschelsucher
worden, und ihre finanziell notleidende Familie hatte ihr so lange geschmeichelt und gedroht, bis sie sich endlich nach Devon zurückzog. »Ausgemustert und auf Gnadenbrot gesetzt«, murrte sie fortwährend, »wie ein alter Kavalleriegaul.«
Lady Beamishs Mann war ein hoher Beamter in der indischen Zivilverwaltung gewesen, und sie hatte viele Jahre auf dem großen Subkontinent gelebt, dem Kronjuwel des britischen Empire, das sie immer »Indscha« aussprach. Sie mußte ein Fels in der Brandung gewesen sein, dachte Dolly oft, eine große Stütze für ihren Mann, die bei Gartenfesten glänzte und ihm zu Hilfe eilte, wann immer es brenzlig wurde. Man konnte sich unschwer vorstellen, wie sie, nur mit einem Tropenhelm und einem seidenen Sonnenschirm bewaffnet, dem aufrührerischen Einheimischenpöbel entgegentrat und die Leute mit ihrem stählernen Blick in Schach hielt oder, so sie sich nicht in Schach halten lassen wollten, die anderen Damen der britischen Kolonie um sich scharte und ihnen befahl, ihre Unterröcke in Streifen zu reißen und Verbandszeug daraus zu machen.
Sie warteten auf Dolly, wo sie sie verlassen hatte, vor dem spärlichen Feuer auf dem Kaminrost. Mrs. Fawcett Smythe strickte, Lady Beamish knallte Patiencekarten auf ihren tragbaren Spieltisch, und der Colonel stand mit dem Rücken zu den Flämmchen, wärmte sein Hinterteil und beugte und streckte seine rheumatischen Knie wie ein Bühnenpolizist. »So.« Dolly setzte sich wieder in ihren Sessel. »Was war denn?« fragte Lady Beamish befehlend und legte einen schwarzen Buben auf eine rote Dame. »Es war Ambrose. Er heiratet.«
Die Nachricht traf den Colonel unvorbereitet, während er mit gebeugten Knien dastand. Es kostete ihn offenbar einige Konzentration, sie durchzudrücken. »Hm, ich will verdammt sein«, sagte er. »Oh, wie aufregend«, zirpte Mrs. Fawcett Smythe. »Wer ist das Mädchen?« fragte Lady Beamish. »Sie ist. Ihr Vater ist ein Maler.« Lady Beamish zog die Mundwinkel nach unten. »Ein Maler?« Aus ihrer Stimme klang tiefste Mißbilligung. »Er ist sicher sehr berühmt«, sagte Mrs. Fawcett Smythe tröstend.
»Wie heißt sie?«
»Penelope Stern.«
»Penelope Stein?« Der Colonel wurde dann und wann von seinem Gehör im Stich gelassen.
»Großer Gott, nein.« Die armen Juden taten ihnen natürlich allen sehr leid, aber daß der eigene Sohn eine Jüdin heiratete, war unvorstellbar. »Stern.«
»Ich habe noch nie von einem Maler namens Stern gehört«, sagte der Colonel, als wolle Dolly sich über ihn lustig machen. »Sie haben ein Haus in der Oakley Street. Und Ambrose sagt, sie wird mir gefallen.«
»Wann ist die Hochzeit?«
»Anfang Mai.«
»Fahren Sie hin?«
»Selbstverständlich fahre ich hin. Ich werde im Basil Street anrufen und ein Zimmer bestellen müssen. Vielleicht sollte ich ein oder zwei Tage vorher fahren und sehen, ob ich etwas zum Anziehen finde.«
»Wird es eine schöne große Trauung?« fragte Mrs. Fawcett Smythe.
»Nein, sie findet im Standesamt von Chelsea statt.«
»Meine Güte.«
Dolly fühlte sich veranlaßt, für ihren Sohn in die Bresche zu springen. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, daß sie selbst oder er einem ihrer Bekannten leid tat. »Sie wissen doch, im Krieg. und außerdem wird Ambrose jeden Moment auf sein Schiff eingezogen. Die jungen Leute denken praktisch, und vielleicht haben sie recht. Obgleich ich sagen muß, daß ich immer von einer wirklich schönen Trauung in einer Kirche geträumt habe, mit einem Degenspalier. Aber so ist es nun mal.« Sie zuckte tapfer mit den Schulter. »C’est la guerre.«
Lady Beamish fuhr fort, ihre Patience zu legen. »Wo haben sie sich kennengelernt?«
»Er hat es nicht gesagt. Aber sie ist beim Frauen-Marinehilfskorps.«
»Nun, das ist wenigstens etwas«, bemerkte Lady Beamish. Sie bedachte Dolly mit einem scharfen, vielsagenden Blick, dem Dolly tunlichst auswich. Lady Beamish wußte, daß Dolly erst vierundvierzig war. Dolly hatte ihr recht ausführlich von ihren gesundheitlichen Problemen erzählt, den furchtbaren Kopfschmerzen (sie nannte sie Migräneanfälle), die sie im ungelegensten Augenblick bekam, und der lästigen Rückengeschichte, die von den einfachsten häuslichen Tätigkeiten, zum Beispiel Bettenmachen oder Bügeln, ausgelöst werden konnte. Handspritzen zu bedienen oder Krankenwagen zu fahren kam also gar nicht in Frage. Aber Lady Beamish schien das nicht zu genügen, und sie machte dann und wann unfreundliche Bemerkungen über
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