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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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gutgehen wird.« Er blickte wieder auf die Uhr. Sie sagte, am Ende ihrer Weisheit angelangt: »Ich werde dir schreiben. Du mußt.« Aber in diesem Augenblick schrillte die Pfeife des Aufsichtsbeamten. Es folgte das übliche Durcheinander. Leute hasteten in die Wagen, Türen wurden zugeschlagen, Stimmen riefen, ein Mann kam auf den Bahnsteig gerannt und sprang im letzten Moment in den Zug. Sie ließ das Fenster hinunter und beugte sich hinaus. Der Zug begann sich in Bewegung zu setzen.
    »Schreibst du mir, damit ich deine neue Adresse weiß, Ambrose?«
    Ihm fiel etwas ein. »Ich hab deine Adresse gar nicht!« Sie fing an zu lachen. Er lief nun neben dem Zug her. »Cam Cottage«, rief sie laut, um das Rattern zu übertönen. »Cam Cottage, Porthkerris, Cornwall.«
    Der Zug war jetzt zu schnell für ihn, und er lief langsamer, blieb stehen, fing an zu winken. Der Zug verließ den Bahnsteig und rollte durch die Kurve. Sie war nicht mehr zu sehen. Er drehte sich um und schritt vom Ende des Bahnsteigs zu der weit entfernten Treppe. Cam Cottage. Die elisabethanische Villa, die er sich ausgemalt hatte, die Jacht auf dem Heiford - ein Traum, der sich von einer Sekunde zur anderen in nichts auflöste. Cam Cottage. Eine Hütte? Es klang sehr bescheiden, enttäuschend bescheiden, und er hatte unwillkürlich das Gefühl, betrogen worden zu sein. Aber trotzdem. Sie war fort. Und seine Mutter war nach Devon zurückgefahren, und er hatte es fürs erste überstanden. Nun brauchte er nur noch nach Portsmouth zu fahren und sich zum Dienstantritt zurückzumelden. Während er zum Parkplatz schlenderte, wurde ihm bewußt, daß er sich auf eine sonderbare Weise darauf freute, zum Alltag, zur Navy und zu seinen Kameraden zurückzukehren. Mit Männern lebte es sich alles in allem leichter als mit Frauen.
    Wenige Tage später, am 10. Mai, marschierten die Deutschen in Frankreich ein, und der Krieg fing richtig an.

Sie sahen sich erst Anfang November wieder. Nach den langen Monaten der Trennung kam wie aus heiterem Himmel ein Anruf. Ambrose, aus Liverpool. Er habe ein paar Tage Urlaub, werde den nächsten Zug nehmen und das Wochenende über nach Porthkerris kommen.
    Er kam, blieb und fuhr wieder ab. Eine Reihe von Umständen führte dazu, daß der Besuch eine einzige Katastrophe wurde. Zum einen regnete es die ganzen drei Tage ununterbrochen. Ein anderer Grund war, daß Tante Ethel, noch nie der taktvollste oder zurückhaltendste Hausbesuch, zur selben Zeit in Cam Cottage war. Die anderen Dinge waren zu zahlreich und deprimierend, um aufgezählt oder näher analysiert zu werden.
    Als es vorbei war und er wieder zu seinem Zerstörer zurückgekehrt war, kam Penelope zu dem Schluß, daß es einfach zu bedrückend gewesen sei, um noch länger darüber nachzudenken, und mit der Unbekümmertheit der Jugend verdrängte sie die leidige Episode einstweilen. Hinzu kam natürlich, daß sie voll und ganz von der Schwangerschaft beansprucht wurde und somit wichtigere Dinge um die Ohren hatte.
    Das Baby kam Ende November, praktisch auf den Tag pünktlich. Es wurde nicht in Cam Cottage geboren, wie seine
    Mutter, sondern in dem kleinen Kreiskrankenhaus in Porthkerris. Alles geschah so rasch, daß der Arzt nicht rechtzeitig zur Stelle sein konnte und Penelope und Schwester Rogers sich selbst überlassen blieben. Sie meisterten die Situation ohne weiteres. Als Penelope mehr oder weniger versorgt war, nahm Schwester Rogers das Baby mit, wie es üblich war, wusch es, richtete es ein wenig her, zog ihm ein Hemdchen und eine winzige Jacke an und legte ihm den Schal aus Shetlandwolle um, alles Sachen, die Sophie - überflüssig zu sagen - in irgendeiner Schublade aufgestöbert hatte und die stark nach Mottenkugeln rochen.
    Penelope hatte immer ihre eigenen Theorien über Babys gehabt. Sie war nie mit kleinen Kindern zusammen gewesen, hatte nie eines auf den Arm genommen und gehalten, aber sie war überzeugt, daß man sein eigenes Kind sofort erkennen würde, wenn man es zum erstenmal sah. Ja, natürlich, würde sie sagen, wenn sie den großen Schal behutsam mit dem Zeigefinger zur Seite schieben und auf das kleine Gesicht hinuntersehen würde, ja, natürlich. Du bist es. Aber es war nicht so. Als Schwester Rogers endlich zurückkam und das winzige Geschöpf, das sie so stolz trug, als hätte sie es eben selbst zur Welt gebracht, zärtlich in Penelopes ausgestreckte Arme legte, starrte Penelope mit wachsendem Unglauben auf das Kind hinunter. Es war dick, hellblond

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