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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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morgen waschen und bügeln. Und hier sind sogar passende Schuhe - du magst doch straßbesetzte Schnallen, nicht wahr? Und seidene Strümpfe im selben Farbton.« Penelope nahm das Kleid, ging damit zum Spiegel, hielt es sich an und betrachtete sich mit halbgeschlossenen Augen, drehte sich ein wenig nach rechts und links, um die Wirkung zu beurteilen. »Eine wunderschöne Farbe, Elizabeth. Wie ganz helles Stroh. Würdest du es mir wirklich leihen?«
    » Selbstverständlich.«
    »Hättest du zufällig auch einen Hut? Ich glaube, ich sollte einen aufsetzen. Oder mein Haar hochstecken, irgendwas.«
    »Und du brauchst einen Unterrock. Der Stoff ist sehr fein, ein bißchen durchscheinend, und man würde deine Beine sehen.«
    »Das wäre eine Katastrophe. Dolly Keeling würde in Ohnmacht fallen.«
    Sie fingen an zu lachen. Penelope zog lachend das rote Baumwollkleid aus und ließ das feine blaßgelbe Leinen über ihren Kopf nach unten gleiten, und plötzlich wurde ihr wieder leicht ums Herz. Dolly Keeling ging ihr auf die Nerven, aber sie heiratete Ambrose, nicht seine Mutter, und welche Rolle spielte es da, was sie von ihr dachte?
    Die Sonne schien. Der Himmel war strahlendblau. Dolly Keeling frühstückte im Bett und stand um elf Uhr auf. Ihre Kopfschmerzen waren zwar nicht fort, aber sie hatten nachgelassen. Sie nahm ein Bad, richtete ihr Haar und legte Make-up auf. Es dauerte sehr lange, denn es kam darauf an, daß sie jung und zugleich untadelig aussah und möglichst alle, auch die Braut, in den Schatten stellte. Als die letzte Wimper zurechtgezupft war, erhob sie sich vom Frisierschemel, zog den dünnen Morgenrock aus und legte ihren Staat an. Ein fliederfarbenes Seidenkleid mit einer weiten, fließenden Jacke aus demselben Material. Ein feiner Strohhut mit einem grobgerippten fliederfarbenen Band, den sie so aufsetzte, daß die Locken am Haaransatz frei blieben. Die hochhackigen, vorne offenen Pumps, die langen weißen Handschuhe, die weiße Handtasche aus Glacéleder. Ein letzter Blick in den Spiegel beruhigte sie und hob ihre Lebensgeister. Ambrose würde stolz auf sie sein. Sie nahm rasch noch zwei Aspirin, betupfte sich mit Houbigant und ging ins Foyer hinunter.
    Ambrose wartete schon auf sie. Er sah in seiner Ausgehuniform absolut umwerfend aus und duftete, als sei er gerade eben aus einem teuren Frisiersalon gekommen, was übrigens der Fall war. Auf dem niedrigen Tisch neben ihm stand ein leeres Glas, und als er sie mit einem Kuß begrüßte, stellte sie fest, daß sein Atem nach Cognac roch, und sie zerfloß vor Liebe zu ihrem kleinen Jungen, der ja erst einundzwanzig Jahre alt war und einfach Lampenfieber haben mußte.
    Sie gingen hinunter und nahmen ein Taxi zur King’s Road. Während der Fahrt hielt Dolly die Hand ihres Sohnes fest zwischen ihren behandschuhten Fingern. Sie redeten nicht miteinander. Es hatte keinen Sinn zu reden. Sie war ihm eine gute Mutter gewesen. keine Frau hätte mehr für ihn tun können. Und was Penelope anging. na ja, gewisse Dinge blieben besser ungesagt. Das Taxi hielt vor dem eindrucksvollen Rathaus von Chelsea. Sie stiegen aus, und während Ambrose zahlte, drehte Dolly das Gesicht in den angenehmen lauen Windhauch, besann sich aber rasch eines Besseren und strich ihren Rock glatt, vergewisserte sich, daß ihr Hut gut saß und blickte sich dann um. Einige Meter entfernt wartete eine andere Frau, eine bizarr aussehende kleine Person, noch zierlicher als sie, mit den dünnsten schwarzbestrumpften Beinen, die sie jemals gesehen hatte. Richtige Storchenbeine. Ihre Blicke begegneten sich. Dolly sah rasch in eine andere Richtung, aber es war zu spät, denn die andere Frau näherte sich ihr bereits freudestrahlend, streckte die Hand aus, nahm die ihre in einen schraubstockähnlichen Griff und krähte: »Sie müssen die Keeling sein. Ich habe es gewußt. Ich habe es in meinen Knochen gewußt, sobald ich Sie gesehen habe!« Dolly starrte sie an und war überzeugt, daß sie von einer Wahnsinnigen angegriffen wurde, und als Ambrose sich von dem fortfahrenden Taxi abgewandt hatte, erschrak er ebenso wie seine Mutter. »Entschuldigung, ich...«
    »Ich bin Ethel Stern. Lawrence Sterns Schwester.« Sie war in eine knallrote Jacke, sicher eine Kindergröße, mit vielen Litzen und anderem Besatz gezwängt und trug eine gewaltige Baskenmütze aus schwarzem Samt. »Sagen Sie Tante Ethel zu mir, junger Mann.« Sie gab Dollys Hand frei und streckte die ihre in Ambroses Richtung aus. Als er sie nicht

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