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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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nicht mehr auf. Es war, als hätten all die Tränen, die jahrelang unvergossen geblieben waren, urplötzlich beschlossen, sich Bahn zu brechen. Als ihre Mutter freudig ins Zimmer geeilt kam, weinte sie immer noch. Sophie trug noch das Fischerhemd und die rostroten Segeltuchhosen, die sie angehabt hatte, als Schwester Rogers anrief, und sie hatte einen gewaltigen Strauß Heidekrautastern im Arm, die sie auf dem Weg durch den Garten schnell auf ihren Rabatten gepflückt hatte.
    »O Liebling, du bist so ein tapferes Mädchen, ohne Arzt und.« Sie legte die Blumen auf einen Stuhl und eilte zum Bett, um ihr Kind zu umarmen. »Schwester Rogers sagt.« Sie hielt inne. Die Freude schwand aus ihrem Gesicht und wurde von einem Ausdruck akuter Besorgnis abgelöst. »Penelope.« Sie setzte sich auf den Bettrand und griff nach Penelopes Hand. »Mein Liebling, was ist denn? Warum weinst du? War es so schlimm, so schwer?«
    Penelope schüttelte schluchzend den Kopf. Sie konnte kein Wort hervorbringen. Ihre Nase lief, und ihr Gesicht war fleckig und geschwollen.
    »Da, nimm.« Sophie zog, praktisch wie immer, ein sauberes, frisch duftendes Taschentuch hervor. »Putz dir die Nase und wisch die Tränen ab.«
    Penelope nahm das Taschentuch und tat es. Sie fühlte sich bereits ein klein wenig besser. Sophies bloße Anwesenheit, die Tatsache, daß sie neben ihr saß, ließ alles in einem anderen Licht erscheinen. Als sie sich geschneuzt, die Tränen abgetupft und noch ein wenig geschnieft hatte, fühlte sie sich stark genug, um sich aufzusetzen, und Sophie schüttelte rasch das Kissen auf und drehte es um, so daß die tränenbenetzte Seite nach unten zu liegen kam. »So. Und jetzt sag mir, was los ist? Ist mit dem Baby etwas nicht in Ordnung?«
    »Nein. Nein, das Baby ist es nicht.«
    »Was ist es dann?«
    »O Sophie. Es ist Ambrose. Ich liebe ihn nicht. Ich hätte ihn nicht heiraten dürfen.«
    Es war heraus. Es war gesagt. Sie empfand eine unendliche Erleichterung, es laut und deutlich zugegeben zu haben. Sie begegnete dem Blick ihrer Mutter, sie sah den ernsten und erschrockenen Ausdruck in ihren Augen, aber Sophie war wie üblich weder überrascht noch entsetzt. Sie saß nur einen Moment stumm da, und dann sagte sie leise seinen Namen, »Ambrose«, als wäre er die Antwort auf ein ungelöstes Rätsel.
    »Ja. Jetzt weiß ich es. Es war alles ein furchtbarer Fehler.«
    »Wann hast du es gemerkt?«
    »An jenem Wochenende. Schon als er aus dem Zug stieg und mir auf dem Bahnsteig entgegenkam, schwante mir nichts Gutes. Es war, als wenn ein Fremder käme, und noch dazu einer, den ich nicht sehr gern sehen wollte. Ich hatte nicht gedacht, daß es so sein würde. Ich war ein bißchen schüchtern und verlegen, ihn nach all den Monaten wiederzusehen, aber ich hatte mir nicht vorgestellt, daß es so sein würde. Als ich dann mit ihm nach Cam Cottage zurückfuhr und der Regen aufs Wagendach prasselte, versuchte ich, so zu tun, als ob es nichts weiter wäre - nur eine gewisse Befangenheit, die ganz natürlich sei nach einer solchen Trennung. Aber sobald wir das Haus betreten hatten, wußte ich, daß es hoffnungslos war. Er war nicht richtig. Er stimmte einfach nicht. Das Haus lehnte ihn ab, und er paßte nicht zu mir und zu uns. Und danach ist es immer schlimmer geworden.«
    Sophie sagte: »Ich hoffe, es hat nichts mit Papa und mir zu tun.«
    »O nein, nein«, versicherte Penelope ihr hastig. »Ihr wart furchtbar nett zu ihm, alle beide. Ich war es, die ihn schlecht behandelt hat. Aber ich konnte nichts dagegen tun. Er langweilte mich. Er ödete mich an. Es war, als wäre der unerträglichste Fremde zu Besuch da. Du weißt ja, wie es ist, wenn irgend jemand sagt, der und der kommt in die Stadt, er ist sehr nett, seid freundlich zu ihm, und man ist freundlich und lädt ihn übers Wochenende ein, und dann ist es ein einziger Alptraum, und man hält es kaum aus. Ich weiß, es hat die ganze Zeit geregnet, aber das hätte keine Rolle spielen dürfen. Es lag an ihm. Er war so uninteressant, so nutzlos. Weißt du, daß er nicht mal seine Schuhe putzen konnte? Er hat seine Schuhe noch nie selbst geputzt. Und er war gemein zu Doris und Ernie, und die Jungs waren für ihn nichts weiter als zwei Rotznasen. Er ist ein Snob. Er konnte nicht verstehen, warum wir die Mahlzeiten immer alle zusammen einnehmen. Er konnte nicht begreifen, warum wir Doris und Clark und Ronald nicht dazu zwingen, in der Küche zu wohnen. Ich glaube, das hat mich mehr aufgebracht als

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