Die Muschelsucher
umgehend nahm, huschte ein furchtsamer Ausdruck über ihre runzligen Züge.
»Sagen Sie bloß nicht, ich hätte die Falschen erwischt!«
»Nein. Nein, natürlich nicht.« Verlegen und peinlich berührt von ihrer absonderlichen Aufmachung war er ein bißchen rot geworden. »Guten Tag. Ich bin Ambrose, und das ist meine Mutter, Dolly Keeling.«
»Ich dachte, ich könnte mich einfach nicht irren. Ich warte schon seit Stunden «, plapperte sie. Ihr Haar war dunkelrot gefärbt und ihr Make-up wie auf gut Glück aufgetragen, als hätte sie es mit geschlossenen Augen gemacht. Ihre nachgezogenen Augenbrauen waren nicht identisch geschwungen, und das dunkle Lippenrot hatte bereits angefangen, in den feinen Hautfurchen um ihren Mund zu zerlaufen. »Normalerweise komme ich immer und überall zu spät, und darum habe ich mir heute besondere Mühe gegeben und war natürlich viel zu früh da.« Sie setzte eine übertrieben traurige Miene auf. Sie sah aus wie ein Liliputanerclown, wie das Äffchen eines Leierkastenmanns. »Meine Güte, ist das mit Lawrence nicht zu blöde? Der arme Teufel, er wird sich schwarz ärgern.«
»Ja«, sagte Dolly schwach. »Wir haben uns so darauf gefreut, ihn kennenzulernen.«
»Er fährt immer so gern nach London. Jeder Vorwand ist ihm recht.« In diesem Moment stieß sie einen gellenden Schrei aus, der Dolly entsetzt zusammenfahren ließ, und fing an, mit beiden Armen herumzufuchteln. Dolly sah ein Taxi aus der anderen Richtung zum Bordstein rollen und halten, und Penelope und ein älteres Ehepaar, sicher diese Cliffords, aussteigen. Alle drei lachten, und Penelope wirkte ungezwungen und kein bißchen nervös.
»Hallo! Da sind wir. Gut abgepaßt, nicht wahr? Guten Tag, Tante Ethel. Wie schön, dich zu sehen. Hallo, Ambrose.« Sie küßte ihn flüchtig auf die Wange. »Du hast Mr. und Mrs. Clifford noch nicht kennengelernt, nicht wahr? Professor Clifford, Mrs. Elizabeth Clifford. Peter und Elizabeth. Und das ist Ambroses Mutter.« Alle bemühten sich, ein freundliches Gesicht zu machen, gaben einander die Hand und sagten: »Sehr angenehm.« Dolly lächelte charmant und nickte, während ihr Blick von einem zum anderen huschte und alles registrierte, so daß sie wie üblich ein rasches Urteil fällen konnte. Penelope sah aus, als hätte sie sich kostümiert, aber zugleich sehr fein - schön und unglaublich distinguiert. Sie war so groß und schlank, und das lange, fließende, cremefarbene, ins Hellgelb spielende Kleid, sicher von ihrer Mutter oder irgendwem anders, vermutete Dolly, unterstrich ihre natürliche Eleganz. Sie hatte ihr Haar zu einem losen Nackenknoten gesteckt und trug einen giftgrünen Strohhut, der anstelle des Bandes einen Kranz von Gänseblümchen hatte.
Mrs. Clifford sah dagegen aus wie eine Gouvernante im Ruhestand. Sie war wahrscheinlich sehr gescheit und gebildet, aber nachlässig gekleidet. Der Professor, der einen dunkelgrauen Nadelstreifenanzug aus Flanell und ein blaues Hemd trug, wirkte etwas eleganter (aber für einen Mann war es immer leichter, gut angezogen zu sein). Er war groß und dünn, hohlwangig und asketisch. Ein richtiger Gelehrtentyp, unbedingt vorzeigbar. Dolly war nicht die einzige, die ihn attraktiv fand. Sie hatte aus dem Augenwinkel heraus beobachtet, wie Tante Ethel ihn mit einer überschwenglichen Umarmung begrüßte, sich buchstäblich an seinen Hals hängte und dabei mit ihren dünnen alten Beinchen strampelte wie eine abgetakelte Soubrette. Sie fragte sich, ob Tante Ethel vielleicht ein bißchen übergeschnappt sei, und hoffte, daß es kein Familienmerkmal sein möge.
Endlich rief Ambrose sie alle mit dem Hinweis zur Ordnung, wenn sie jetzt nicht hineingingen, würden Penelope und er die ihnen zugewiesene Zeit verpassen und müßten unverheiratet wieder gehen. Tante Ethel schob ihre Riesenbaskenmütze zurecht, und sie marschierten in das Gebäude. Die Trauzeremonie dauerte keine zehn Minuten und war vorbei, ehe Dolly eine Gelegenheit gefunden hatte, ihr Spitzentaschentuch herauszuholen und sich die Augen abzutupfen. Dann marschierten sie alle wieder hinaus und fuhren zum Ritz, wo Peter Clifford den Anweisungen aus Cornwall gemäß einen Tisch bestellt hatte.
Nichts kann eine Situation so gut entschärfen wie köstliches Essen und reichlich Champagner auf Kosten eines weltmännischen Gastgebers. Alle verloren ihre Befangenheit oder Voreingenommenheit, sogar Dolly, obgleich Tante Ethel während der Mahlzeit eine Zigarette nach der anderen rauchte,
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