Die Muschelsucher
alles andere. Ich hatte nicht gewußt, daß er oder irgend jemand solche Dinge denken und sie sagen kann. So unmenschlich sein kann.«
»Ich finde, du solltest gerecht zu ihm sein und ihm keinen Vorwurf daraus machen, Liebling. Er ist so erzogen worden. Vielleicht sind wir es, die sich merkwürdig benehmen. Wir haben immer anders gelebt als andere Leute.«
Aber Penelope war nicht zu beruhigen. »Es war nicht nur er. Wie ich eben gesagt habe, lag es auch an mir. Ich war abscheulich zu ihm. Ich habe nicht gewußt, daß ich so abscheulich sein kann. Ich wollte ihn nicht im Haus haben. Ich wollte mich nicht von ihm anfassen lassen. Ich wollte nicht mit ihm schlafen.«
»In Anbetracht der Umstände, in denen du warst, wundert mich das nicht.«
»Er hat sich aber gewundert. Er war wütend und nahm es mir übel.« Sie sah Sophie verzagt an. »Es ist alles meine Schuld. Du hast damals gesagt, ich sollte ihn nur heiraten, wenn ich ihn wirklich liebte, und ich habe nicht auf dich gehört. Aber ich weiß, daß ich ihn niemals geheiratet hätte, wenn ich eine Gelegenheit gehabt hätte, ihn nach Cam Cottage zu bringen, um euch kennenzulernen.« Sophie seufzte. »Ja. Es ist ein Jammer, daß dafür keine Zeit war. Und es ist ein Jammer, daß Papa und ich nicht zu eurer Hochzeit kommen konnten. Vielleicht hättest du es dir noch im letzten Augenblick anders überlegen und alles absagen können. Aber was geschehen ist, ist geschehen. Wir können es nicht rückgängig machen.«
»Du hast ihn nicht gemocht, nicht wahr, Sophie? Und Papa auch nicht? Habt ihr gedacht, ich hätte den Verstand verloren?«
»Nein, das haben wir nicht gedacht.«
»Was soll ich tun?«
»Liebling, im Augenblick kannst du gar nichts tun. Außer ein bißchen erwachsen zu werden, glaube ich. Du bist kein Kind mehr. Du hast ein Baby, du hast eine große Verantwortung. Wir sind mitten in diesem furchtbaren Krieg, und dein Mann ist auf seinem Schiff und schützt die Atlantikkonvois. Du kannst nichts anderes tun, als dich einstweilen mit der Situation abzufinden und so weiterzumachen, als ob nichts wäre. Außerdem.« Sie lächelte, als sie daran zurückdachte. »Außerdem hat er uns zu einem schlechten Zeitpunkt besucht. Dieser ununterbrochene Regen, und Tante Ethel mit ihren Zigaretten und ihrem Gin und ihren skandalösen und unmißverständlichen Bemerkungen. Und was dich betrifft, so ist man nie ganz so wie sonst, wenn man schwanger ist. Vielleicht wird es anders sein, wenn du ihn das nächste Mal siehst. Vielleicht fühlst du dann anders.«
»Aber ich habe mich benommen wie ein dummes Ding.«
»Nein. Du warst einfach jung, und du warst den Umständen nicht gewachsen. Und jetzt tu mir einen Gefallen und mach wieder ein fröhliches Gesicht. Lächle und läute nach Schwester Rogers, damit sie das Baby bringt und ich mein erstes Enkelkind endlich zu sehen bekomme. Und wir werden vergessen, daß dieses Gespräch jemals stattgefunden hat.«
»Wirst du es Papa sagen?«
»Nein. Es würde ihn beunruhigen, und ich möchte nicht, daß er sich Sorgen macht.«
»Aber du hast doch nie Geheimnisse vor ihm.«
»Diesmal mache ich eben eine Ausnahme.«
Nicht nur Penelope war ratlos über das Aussehen des Babys. Als Lawrence am nächsten Tag kam, um die Kleine in Augenschein zu nehmen, war er ebenso verwirrt. »Sag mal, wem sieht sie eigentlich ähnlich?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Sie ist sehr süß, aber sie scheint nichts mit dir oder mit ihrem Vater zu tun zu haben. Vielleicht hat sie Ähnlichkeit mit Ambroses Mutter?«
»Kein bißchen. Ich glaube jetzt, sie ist ein Atavismus aus einer früheren Generation. Wahrscheinlich das Ebenbild einer längst vermoderten Ahnfrau. Aber wie dem auch sei, es ist mir ein Rätsel.«
»Sei’s drum. Ihr scheint jedenfalls nichts Wichtiges zu fehlen, und nur das zählt.«
»Wissen die Keelings schon Bescheid?«
»Ja, ich habe Ambrose aufs Schiff telegrafiert, und Sophie hat seine Mutter im Hotel angerufen.«
Penelope verzog das Gesicht. »Die gute Sophie. Und was hat Dolly Keeling gesagt?«
»Sie war anscheinend überglücklich. Hat immer gehofft, daß es ein Mädchen werden wird.«
»Ich wette, sie erzählt all ihren Leuten und dieser blöden Lady Beamish, es sei ein Siebenmonatskind.«
»Oh, na ja, warum nicht, wenn es für sie so wichtig ist?« Lawrence zögerte kurz und fuhr dann fort. »Und sie hat gesagt, daß es sehr schön wäre, wenn das Baby Nancy heißen könnte.«
»Nancy? Wie kommt sie denn
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