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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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irgendwo einen Ersatzstecker habe. Sie sagte, sie habe keinen. Noel sagte, er brauche unbedingt einen. Sie sagte, in dem Fall könne er vielleicht einen von einem anderen Elektrogerät nehmen. Er sagte, dann brauche er einen kleinen Schraubenzieher. Sie antwortete, in ihrer Werkzeugschublade müsse einer sein, und er blickte ein wenig gereizt, als sie ihm zeigte, wo diese war.
    »Da, Noel. In der Kommode.«
    Er zog die Schublade auf und erblickte ein Gewirr von Drähten und ein schreckliches Durcheinander von Sicherungen, Hämmern, Schachteln mit Heftzwecken und plattgedrückten Klebstofftuben. Er wühlte darin herum und entdeckte schließlich einen kleinen Schraubenzieher, mit dem er den Stecker von der Schnur des Bügeleisens abschraubte. Wieder auf dem Speicher, schabte er unter einiger Mühe das alte Isoliermaterial von den Kupferdrahtenden der Lampenschnur und verband sie mit dem Stecker, betete, daß die Schnur lang genug sein möge, ließ sie durch die Luke hinunter und steckte den Stecker in die Steckdose im Flur. Es kam ihm vor, als ginge er zum hundertstenmal wieder nach oben, er knipste die Lampe an und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als die Glühbirne aufflammte. Er ließ sich leicht von der geringsten Schwierigkeit entmutigen und war schon kurz davor gewesen zu kapitulieren, aber nun war der Speicher einigermaßen gut beleuchtet, und er konnte endlich anfangen.
    Gegen Mittag hatte er ungefähr die Hälfte gesichtet. Er hatte den Inhalt dreier Truhen, eines von Holzwürmern zerfressenen Sekretärs, einer altertümlichen Teekiste und zweier Koffer untersucht. Er hatte Vorhänge und Kissen gefunden, in Zeitungspapier gewickelte Weingläser, dicke Fotoalben mit schrecklichen alten Sepiabildern, ein Puppen-Teeservice und einen Stapel alter und rettungslos vergilbter Kopfkissenbezüge. Er hatte ledergebundene Hauptbücher mit Einträgen in gestochener Handschrift gefunden, mit Schleifen zusammengebundene Stöße von Briefen, halb fertiggestellte Gobelinstickereien, in denen noch rostige Nadeln steckten, und eine Gebrauchsanweisung für die neueste Errungenschaft, eine Maschine, die den Belag von Messerklingen entfernte. Einmal, beim Anblick einer großen Mappe aus Karton, hatte sein Herz höher geschlagen. Mit nervös zitternden Händen hatte er die Schleife gelöst, aber der Inhalt bestand aus dilettantischen Tuschzeichnungen von irgendwelchen Bergen, den Dolomiten, wie er mit Mühe entzifferte, die weiß Gott wer verbrochen hatte. Seine Enttäuschung war grenzenlos, aber er riß sich zusammen und setzte seine Arbeit fort. Er fand Straußenfedern und Seidenschals mit langen verknoteten Fransen, bestickte Tischtücher, die längs den gefalteten Stellen gelbbraun waren, Puzzlespiele und einige angefangene Stickereien. Er fand ein Schachbrett, aber keine Figuren, er fand Spielkarten und Burkes Verzeichnis der adeligen Gutsbesitzerfamilien von 1917. Er fand nichts, was auch nur entfernt Ähnlichkeit mit einem Bild von Lawrence Stern hatte.
    Jemand kam die Stiege herauf. Er hockte verschwitzt und staubbedeckt auf einem Schemel und las trübsinnig in einem Haushaltsratgeber, wie man schwarze Wollstrümpfe richtig wäscht, und als er aufblickte, sah er Antonia in der Luke zum Speicher stehen. Sie trug weiße Jeans und Sneaker und einen weißen Pulli, und er mußte unwillkürlich denken, was für ein Jammer es war, daß sie diese weißblonden Wimpern hatte, da ihre Figur absolut umwerfend war. »Hallo«, sagte sie leise und zögernd, als ob es sie Mühe koste, ihn zu stören.
    »Hallo, wie geht’s.« Er klappte die alte Schwarte so heftig zu, daß Staub daraus hervorwirbelte und ließ sie auf den Boden fallen, wo sie noch eine Staubwolke veranlaßte. » Wann sind Sie aufgestanden?«
    » Gegen elf.«
    »Ich habe Sie hoffentlich nicht geweckt?«
    »Nein. Ich habe nichts gehört.« Sie bahnte sich vorsichtig einen Weg zwischen den sorgsam sortierten Haufen und Stapeln hindurch und kam zu ihm. »Wie kommen Sie voran?«
    »Langsam. Ich versuche, die Spreu vom Weizen zu trennen. Alles auszusortieren, was besonders feuergefährlich ist.«
    »Ich hatte keine Ahnung, daß es hier so schlimm aussieht.« Sie blieb stehen und schaute sich um. »Woher kommt das alles?«
    » Gute Frage. Vom Dachboden in der Oakley Street. Und vom Dachboden anderer Häuser, anscheinend bis hin zum Hundertjährigen Krieg. Es muß erblich sein, daß es in dieser Familie kein Mensch fertigbringt, sich von irgend etwas zu trennen.«

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