Die Muschelsucher
draußen gegangen, Antonia, die sich immer noch wie in einem bösen Traum fühlte und von den Geschehnissen der letzten Wochen wie zerschlagen war, hatte den häuslichen Tag sehr begrüßt. Sie hatte allein im Wohnzimmer am Kamin gesessen, während draußen die Tropfen an die Scheiben klatschten, und sie hatte Licht gemacht, weil es so grau und trübe war. Sie hatte sich ein Buch herausgesucht, einen Roman von Elizabeth Jane Howard, den sie noch nicht kannte, und nach dem Mittagessen hatte sie sich auf dem Sofa zusammengerollt und angefangen, ihn zu lesen, und bald alles andere vergessen. Dann und wann war Penelope hereingekommen, um ein Scheit nachzulegen oder ihre Brille zu suchen, und später hatte sie sich zu ihr gesetzt, nicht um zu reden, sondern um Zeitung zu lesen, und dann hatte sie Tee gekocht. Noel hatte den ganzen Tag oben auf dem Speicher gearbeitet und hantiert, und als er dann endlich heruntergekommen war, war er offensichtlich schlechter Laune.
Das verursachte Antonia ein leicht unbehagliches Gefühl. Sie war nun mit Penelope in der Küche, wo sie das Dinner zubereiteten, und ein Blick auf Noels finstere Miene genügte, um dieses ungute Gefühl zu verstärken, und sie befürchtete, daß die friedliche Stimmung, die bis jetzt geherrscht hatte, nicht mehr lange anhalten würde.
Um ehrlich zu sein, flößte ihr alles an Noel ein gewisses Unbehagen ein. Er hatte das lebhafte Temperament und die Schlagfertigkeit seiner Schwester, aber nichts von ihrer Herzlichkeit und Wärme. Antonia kam sich in seiner Gegenwart dumm und linkisch vor, und ihr fiel kaum etwas zu sagen ein, was nicht banal oder langweilig klang. Als er mit staubverschmiertem Gesicht und zusammengepreßten Lippen in die Küche gekommen war, um sich einen doppelten Whisky einzuschenken und seine Mutter zu fragen, warum zum Teufel sie all den Krempel von der Oakley Street nach Gloucestershire mitgenommen habe, machte Antonia sich auf eine Szene gefaßt oder, schlimmer noch, auf einen Abend, an dem sie nur das Allernotwendigste sagen und froh sein würden, wenn sie sich endlich nach oben in ihre Zimmer zurückziehen könnten, aber Penelope benahm sich sehr souverän, ließ sich nicht von der Frage provozieren und schien entschlossen, Herrin der Lage zu bleiben.
»Ich nehme an, ich war einfach zu faul«, antwortete sie ihrem Sohn leichthin. »Es war leichter, alles in den Möbelwagen zu packen, als anzufangen zu sortieren und zu entscheiden, was ich damit machen sollte. Ich hatte auch ohne all die alten Bücher und Briefe genug um die Ohren.«
»Aber wer hat bloß den ganze Kram aufgehoben?«
»Ich habe keine Ahnung.«
Er gab sich angesichts ihrer guten Laune geschlagen, trank seinen Whisky in einem Zug aus und entspannte sich zusehends. Er brachte sogar ein verkniffenes Lächeln zustande. »Du bist die unmöglichste Person, die ich kenne«, erklärte er seiner Mutter. Sie war auch jetzt nicht um eine Antwort verlegen. »Ja, ich weiß, aber wir können nicht alle vollkommen sein. Denk einfach daran, wie gut ich in anderen Dingen bin. Zum Beispiel, wenn ich für dich koche oder dafür sorge, daß immer die richtige Flasche im Schrank steht. Du erinnerst dich vielleicht, daß die Mutter deines Vaters nie etwas anderes im Haus hatte als diesen schrecklichen süßen Sherry.«
Er verzog angewidert das Gesicht. »Was gibt’s zum Essen?«
»Gebackene Mandelforelle mit Salzkartoffeln und zum Nachtisch Himbeeren mit Sahne. Du hast es dir redlich verdient. Und du kannst dir aussuchen, was für einen Wein du dazu trinken willst, und dann kannst du mit deinem Drink nach oben gehen und baden.« Sie lächelte ihren Sohn an, aber ihre dunklen Augen blickten hart. »Ich bin sicher, daß du es nach der langen Arbeit nötig hast.«
So war es doch noch ein ganz angenehmer Abend geworden. Da sie alle müde waren, gingen sie früh zu Bett, und Antonia hatte die Nacht durchgeschlafen. Nun schien ihre innere Energie zurückgekehrt zu sein, und sie fühlte sich zum erstenmal seit vielen Tagen wieder so wie früher, bevor all das Furchtbare geschehen war. Sie hatte auf einmal den Wunsch, draußen unter freiem Himmel zu sein, durchs Gras zu laufen, ihre Lungen mit frischer Luft zu füllen. Der Frühlingsmorgen wartete auf sie, und sie wollte ein Teil von ihm sein.
Sie zog sich an, ging nach unten, nahm einen Apfel aus der Schale auf der Anrichte und ging durch den Wintergarten hinaus. Während sie den Apfel aß, lief sie über den Rasen. Der Tau drang durch die
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