Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
Vom Netzwerk:
an frühere Zeiten erinnerte, hatte keine Lust, es noch länger anzuhören. Sie stand abrupt auf. »Dann hole ich sie eben«. erklärte sie, und da ihre beiden Kinder keine Anstalten trafen, sie aufzuhalten, verließ sie den Anbau und ging über den sonnenbeschienenen Rasen zur Obstwiese, während die beiden sitzen blieben, ohne den Blumenduft ringsum wahrzunehmen, und wortlos aneinander vorbeistarrten. Sie tranken ihre Drinks und verwünschten sich insgeheim gegenseitig.
    Penelope war außer sich. Sie hatte sich von den beiden aus der Fassung bringen lassen. Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg und wie ihr Herz zu jagen begann. Sie ging sehr langsam, ließ sich Zeit, atmete tief ein und befahl sich, keine Närrin zu sein. Warum verletzte es sie, daß ihre erwachsenen Kinder sich immer noch wie ungezogene Halbwüchsige aufführten. Warum verletzte es sie, daß Noel an niemanden als sich selbst dachte und daß Nancy so dünkelhaft und selbstgerecht und matronenhaft geworden war. Warum verletzte es sie, daß niemand, nicht einmal Olivia, mit nach Cornwall kommen wollte.
    Was war schiefgegangen? Was war aus den Kindern geworden, die sie geboren und geliebt und großgezogen, erzogen und umsorgt hatte? Die Antwort lautete vielleicht, daß sie nicht genug von ihnen erwartet hatte. Aber sie hatte im London der Nachkriegszeit auf eine nachdrückliche und grausame Weise gelernt, von niemandem außer sich selbst etwas zu erwarten. Sie hatte keine Eltern mehr gehabt, keine alten Freunde, bei denen sie Rat und Zuspruch suchen konnte, hatte sich nur an Ambrose und seine Mutter wenden können und schon nach wenigen Monaten begriffen, daß von dieser Seite nichts zu erwarten war. Sie war allein - in mehr als einer Hinsicht - und auf sich selbst angewiesen.
    Selbstgenügsamkeit. Das war der Schlüssel, das einzige, was einem half, jede Krise zu überstehen, die das Schicksal einem brachte. Sie selbst sein. Unabhängig, autark. Nicht klein beigeben. Weiterhin ihre Entscheidungen selbst treffen und den Kurs ihres restlichen Lebens selbst bestimmen. Ich brauche meine Kinder nicht. Ich kenne ihre Fehler und bin mir ihrer Unzulänglichkeiten bewußt, ich liebe sie alle, aber ich brauche sie nicht. Sie betete darum, daß es nie der Fall sein möge. Sie war nun ruhiger und konnte sogar lächeln. Sie ging durch die Lücke in der Ligusterhecke und sah die abschüssige Obstwiese, auf der die Bäume schwarze Schatten warfen. Das Feuer am anderen Ende brannte immer noch prasselnd und knisternd und spie schwarzbraunen Rauch aus. Danus und Antonia waren da. Danus harkte die rotglühende Asche zusammen, und Antonia saß auf dem Rand der Schubkarre und sah ihm zu. Sie hatten ihre Pullover ausgezogen, waren in Hemdsärmeln und unterhielten sich angeregt über dies und das. Der Klang ihrer unbeschwerten jungen Stimmen drang durch die windstille Luft.
    Sie schienen so sehr in ihre Unterhaltung, ihre Zweisamkeit vertieft zu sein, daß Penelope davor zurückschreckte, sie zu stören, und sei es, um sie ins Haus zu holen, wo ein Lammbraten, ein Zitronensouffle und eine Erdbeertorte auf sie warteten. Also blieb sie stehen, wie so oft, und genoß das Vergnügen, die idyllische Szene zu betrachten. Dann hielt Danus in der Arbeit inne, stützte sich auf seine Heugabel und machte eine Bemerkung, und Antonia lachte. Und der Klang ihres Lachens beschwor mit einer gläsernen Klarheit die Erinnerung an ein anderes, vor vielen Jahren erklungenes Lachen herauf und mit ihr die unerwarteten Seligkeiten und Freuden des Körpers, die einem vielleicht nur einmal im Leben vergönnt sind. Es war alles gut. Und in unserem Leben geht nichts Gutes wirklich verloren. Es bleibt ein Teil von uns, wird ein Teil unserer Persönlichkeit.
    Andere Stimmen. andere Welten. Die Erinnerung an jene Seligkeit erfüllte sie nicht mit sehnsüchtigem Bedauern, sondern mit einem Gefühl der Erneuerung, einem Gefühl, etwas wiederentdeckt zu haben. Nancy und Noel und der törichte und müßige Streit, den sie vom Zaun gebrochen hatten, waren vergessen. Sie berührten sie nicht mehr. Wichtig war nur noch dieser Moment, dieser Augenblick der Wahrheit.
    Sie hätte dort oben am Rand der Obstwiese den ganzen Tag stehen und sich ihren Gedanken hingeben können, doch nach einer Weile bemerkte Danus sie und winkte, und sie legte die Hände wie einen Schalltrichter an den Mund, rief sie und sagte, es sei Zeit zum Essen. Er antwortete mit einer Handbewegung, trieb die Heugabel in die Erde

Weitere Kostenlose Bücher