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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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Mappe zurück und verschnürte diese wieder mit demselben alten Bindfaden. Danach führte sie ihn noch einmal die Treppe hinauf, er nahm die Tafelbilder vorsichtig von der Wand, und dort, wo sie gehangen hatten, waren nur noch ein paar Spinnwebreste und zwei lange Streifen unverblichener Tapete. Draußen wurde alles in seine große Limousine geladen, die Mappe mit den Skizzen in den Kofferraum und die Tafelbilder, sorgsam in zwei weiche Wolldecken gehüllt, auf den Rücksitz. Als er sich vergewissert hatte, daß alles gut verstaut war, trat er zurück und schlug die hintere Wagentür zu. Er wandte sich zu Penelope um.
    »Ich habe mich sehr gefreut, Mrs. Keeling. Und vielen Dank.«
    Sie gaben sich die Hand. »Es war mir ein solches Vergnügen, Mr. Brookner. Hoffendich habe ich Sie nicht gelangweilt.«
    »Ich habe mich noch nie in meinem Leben so wenig gelangweilt. Ich rufe Sie an, sobald ich etwas in Erfahrung gebracht habe.«
    »Danke. Auf Wiedersehen. Und gute Fahrt.«
    »Auf Wiedersehen, Mrs. Keeling.«
    Er rief am nächsten Tag an. »Mrs. Keeling? Hier Roy Brookner.«
    »Ja, Mr. Brookner.«
    »Der Interessent aus Amerika, von dem ich Ihnen erzählt habe, Mr. Lowell Ardway, ist nicht mehr da. Ich habe im Connaught angerufen, und man sagte mir, er sei nach Genf weitergereist. Und er wolle von dort unmittelbar in die Vereinigten Staaten zurückfliegen. Aber ich habe seine Genfer Adresse, und ich werde ihm noch heute schreiben und von den beiden Tafelbildern berichten. Ich bin sicher, daß er wieder nach London kommen wird, wenn er weiß, daß sie verkäuflich sind, aber wir werden vielleicht noch ein oder zwei Wochen warten müssen.«
    »Ich kann ein oder zwei Wochen warten. Ich könnte es nur nicht ertragen, ein halbes Jahr oder noch länger zu warten.«
    »Ich kann Ihnen versichern, daß das nicht notwendig sein wird. Und nun zu den Skizzen. Ich habe sie Mr. Boothby gezeigt, und er war fasziniert. Seit Jahren sind keine so meisterhaften Ölskizzen auf den Markt gekommen.«
    »Haben Sie.« Es kam ihr beinahe unanständig vor zu fragen. »Haben Sie eine Vorstellung, was sie wert sein könnten?«
    »Ich schätze mindestens fünftausend Pfund das Stück.« Fünftausend Pfund. Das Stück. Sie legte auf, stand in ihrer Küche und versuchte, die Größe der Summe zu fassen. Fünftausend mal vierzehn war. sie konnte es nicht im Kopf ausrechnen. Sie kramte einen Bleistift hervor und multiplizierte es auf ihrem Einkaufszettel. Sie bekam siebzigtausend Pfund heraus. Sie langte nach einem Stuhl und setzte sich, weil ihr auf einmal schwach in den Knien wurde. Als sie darüber nachdachte, staunte sie nicht so sehr über das viele Geld, das sie bekommen würde, wie über ihre Reaktion auf all den Reichtum. Ihre Entscheidung, einen Termin mit Mr. Brookner zu vereinbaren, ihm die Skizzen zu zeigen und die Tafelbilder zu verkaufen, würde ihr Leben ändern. So einfach war es, aber sie würde dennoch einige Zeit brauchen, um sich daran zu gewöhnen. Die beiden unbedeutenden, unvollendeten Bilder von Lawrence Stern, die sie immer geliebt, aber für mehr oder weniger wertlos gehalten hatte, waren nun bei Boothby’s und warten auf das Angebot eines amerikanischen Millionärs. Und die so lange Zeit im Kleiderschrank versteckten Skizzen, an die sie jahrelang nicht mehr gedacht hatte, waren auf einmal siebzigtausend Pfund wert. Ein Vermögen. Es war wie ein Hauptgewinn in der Fernsehlotterie. Während sie über ihren neuen Status nachdachte, fiel ihr die junge Frau ein, die das große Los gezogen und das Ereignis vor der Kamera gefeiert hatte, indem sie sich Champagner über den Kopf schüttete und »Geld, Geld, Geld!« kreischte.
    Eine erstaunliche Szene, wie aus einem Irrenhaus. Und nun war sie, Penelope, mehr oder weniger in der gleichen Situation, und - und das war die große Überraschung - sie wurde sich bewußt, daß sie weder abgestoßen noch überwältigt war. Statt dessen empfand sie die Dankbarkeit eines Menschen, dem ein unerwartetes und großzügiges Geschenk gemacht worden ist. Das größte Geschenk, das Eltern ihren Kindern machen können, ist, daß sie nicht von ihnen abhängig werden. Das hatte sie zu Noel und Nancy gesagt, und sie wußte, daß es stimmte und daß die Freiheit, die mit finanzieller Sicherheit einherging, unschätzbar war. Außerdem konnte man sich Wünsche erfüllen, die bisher unerfüllbar gewesen waren. Aber was für Wünsche? Sie hatte keinerlei Erfahrung darin, sich überflüssige Dinge zu kaufen, da

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