Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
Vom Netzwerk:
übergeben. Das war das einzige Mal, daß wir uns nach der Scheidung wiedersahen. Er war verändert und wirkte sehr gesetzt und gut situiert. Er hatte stark zugenommen, sein Haar war grau geworden und sein Gesicht sehr rot. Ich weiß noch, daß er an jenem Tag eine goldene Uhrkette trug und in jeder Hinsicht wie jemand aussah, der sein Leben lang im Norden gewesen war und nichts anderes getan hatte, als Geld zu verdienen.
    Nach der Hochzeit fuhr er nach Huddersfield zurück, und ich sah ihn nie wieder. Er starb ungefähr fünf Jahre später. Er war immer noch relativ jung, und es war ein großer Schock. Vor allem für Dolly Keeling. Die Ärmste, sie überlebte ihn um Jahre, aber sie kam nie darüber hinweg, daß sie ihren Sohn verloren hatte. Mir tat es auch leid, glaube ich. Ich glaube, bei Delphine hatte er endlich das Leben gefunden, das er immer haben wollte. Ich schrieb ihr, aber sie hat meinen Brief nie beantwortet. Vielleicht hielt sie es für anmaßend, daß ich geschrieben hatte. Oder sie wußte einfach nicht, was sie mir antworten sollte.«
    »Jetzt mache ich uns aber wirklich einen Tee.« Sie stand auf und hob gleichzeitig die Hand, um die Schildpattnadel, die ihren Knoten hielt, festzustecken. »Ich kann Sie doch zwei Minuten allein lassen? Ist es warm genug? Oder soll ich Feuer machen?« Er versicherte ihr, sie könne, es sei warm genug, sie brauche kein Feuer zu machen, und so ließ sie ihn mit den Skizzen allein, ging in die Küche, ließ den Kessel vollaufen und stellte ihn auf. Sie war von einer großen Gelassenheit und Ruhe erfüllt, genau wie an jenem Sommerabend, als sie sich die Haare gebürstet und zugehört hatte, wie Ambrose ihr eröffnete, er würde sie für immer verlassen. Ein solches Gefühl, sagte sie sich, mußten Katholiken nach der Beichte haben - innerlich gereinigt und endlich von einer Last befreit. Und sie war Roy Brookner dankbar, daß er ihr zugehört hatte, und sie war auch Boothby’s dankbar, daß sie ihr jemanden geschickt hatten, der nicht nur ein Experte war, sondern auch menschlich und verständnisvoll.
    Beim Tee mit Honigkuchen kamen sie wieder auf das Geschäftliche. Die Tafelbilder sollten versteigert werden. Die Ölskizzen sollten katalogisiert und nach London gebracht werden, wo man sie schätzen würde. Und Die Muschelsucher? Sie würden bis auf weiteres dort bleiben, wo sie waren, über dem Kamin im Wohnzimmer von Podmore’s Thatch.
    »Der einzige Haken bei den Tafelbildern ist die Zeit«, erklärte Roy Brookner ihr. »Wie Sie wissen, haben wir gerade eine große Auktion viktorianischer Malerei gehabt, und die nächste wird erst in frühestens sechs Monaten sein, aber nicht in London. Vielleicht wird unsere New Yorker Niederlassung diese Bilder übernehmen, aber ich muß erst feststellen, für wann sie die nächste Auktion geplant hat, die für solche Werke in Frage kommt.«
    »Sechs Monate. Ich möchte nicht sechs Monate warten. Ich möchte sie jetzt verkaufen.« Er lächelte über ihre Ungeduld. »Würden Sie einen privaten Käufer in Erwägung ziehen?
    Ohne den Wettstreit, der bei einer Auktion oft entbrennt, würden Sie vielleicht keinen so hohen Preis bekommen, aber vielleicht sind Sie bereit, das Risiko einzugehen.«
    »Könnten Sie mir einen privaten Käufer vermitteln?«
    »Es gibt da einen amerikanischen Sammler, aus Philadelphia. Er ist speziell nach London gekommen, um für Die Wasserträgerinnen zu bieten, aber der Vertreter des Museums in Denver hat ihn überboten. Er war sehr enttäuscht. Er hat keinen Lawrence Stern, und Bilder von Ihrem Vater kommen so selten auf den Markt.«
    »Ist er noch in London?«
    »Ich weiß es nicht genau. Ich könnte es aber feststellen. Er hat im Connaught gewohnt.«
    »Sie glauben, er würde die Tafelbilder vielleicht haben wollen?«
    »Ich bin ganz sicher. Aber der Verkauf hängt natürlich davon ab, wieviel er bieten wird.«
    »Könnten Sie sich mit ihm in Verbindung setzen?«
    »Selbstverständlich.«
    »Und die Skizzen?«
    »Es liegt bei Ihnen. Es würde sich bestimmt lohnen, einige Monate zu warten und sie erst dann zu verkaufen. Dann hätten wir Zeit, um ein bißchen Werbung zu machen und Interesse zu wecken.«
    »Ja, ich verstehe. Vielleicht wäre es in dem Fall besser zu warten.«
    Sie einigten sich in diesem Sinne. Roy Brookner fing sofort an, die Ölskizzen zu katalogisieren. Es dauerte seine Zeit, und als er fertig war und ihr eine unterschriebene Empfangsbestätigung überreicht hatte, legte er sie in die

Weitere Kostenlose Bücher