Die Muschelsucher
Vergangenheit bekommen. Ich hatte so wenige Werke von ihm. Und ich dachte, wenn Ambrose es erführe, würde er sofort verlangen, daß ich sie verkaufte. Also brachte ich sie ins Haus, in mein Schlafzimmer. Ich klebte die Mappe an die Rückwand meines Kleiderschranks, und dann fand ich eine alte Rolle Tapete, und ich kaufte Tapetenleim und tapezierte die Schrankwand damit. Und dort waren sie seitdem versteckt. Bis letzten Sonntag. Da wußte ich auf einmal, daß es Zeit war, sie wieder ans Tageslicht zu holen und Ihnen zu zeigen.«
»Jetzt wissen Sie es also.« Sie sah auf die Uhr. »Es hat wirklich Stunden gedauert, es Ihnen zu erzählen. Entschuldigen Sie. Möchten Sie vielleicht eine Tasse Tee? Haben Sie noch Zeit für eine Tasse Tee?«
»Ja. Aber ich würde gern noch mehr hören.« Sie zog in einer stummen Frage die Augenbrauen hoch. »Halten Sie mich bitte nicht für neugierig oder indiskret, aber was ist aus Ihrer Ehe geworden? Was ist aus Ihrem Mann geworden?«
»Meinem Mann? Er hat mich verlassen.«
»Sie verlassen?«
»Ja.« Er sah zu seinem Staunen, daß ein amüsierter Ausdruck in ihr Gesicht trat. »Wegen einer Sekretärin.«
»Kurz nachdem ich die Skizzen gefunden und versteckt hatte, ging Ambroses alte Sekretärin, Miss Wilson, die seit undenklichen Zeiten bei Keeling & Philips gewesen war, in Pension, und ein neues Mädchen trat die Stelle an. Sie war sehr jung, und ich nehme an, daß sie ganz hübsch gewesen sein muß. Sie hieß Delphine Hardacre. Miss Wilson war immer nur Miss Wilson genannt worden, aber Delphine wurde nie anders als Delphine angeredet. Eines Tages sagte Ambrose, er müsse geschäftlich nach Glasgow. Dort war die Verlagsdruckerei, und er blieb eine Woche fort. Danach fand ich heraus, daß er gar nicht in Glasgow gewesen war, sondern mit Delphine in Huddersfield, um ihren Eltern vorgestellt zu werden. Der Vater war sehr reich, ich glaube, er hatte sein Geld mit Stahlkonstruktionen verdient, und wenn er Ambrose ein bißchen zu alt für seine Tochter fand, wurde das offensichtlich durch die Tatsache ausgeglichen, daß sie jemanden gefunden hatte, der ihr imponierte, und daß sie unsterblich in ihn verliebt war. Kurz danach kam Ambrose eines Abends vom Büro nach Hause und sagte mir, daß er gehen würde. Wir waren im Schlafzimmer. Ich hatte mir gerade die Haare gewaschen, saß an der Frisierkommode und bürstete sie trocken, und Ambrose saß hinter mir auf dem Bett, und wir sahen uns bei dem Gespräch nur im Spiegel an. Er sagte, er sei in sie verliebt. Sie gebe ihm all das, was ich ihm nie gegeben hätte. Er wolle sich scheiden lassen. Danach würde er sie heiraten, und derweil würde er bei Keeling & Philips kündigen und Delphine auch, und sie würden nach Yorkshire gehen und sich dort niederlassen, weil ihr Vater ihm einen Posten in seinem Unternehmen angeboten habe.
Ich muß Ambrose zugute halten, daß er alles sehr zielbewußt anpackte und erledigte, sobald er seinen Entschluß gefaßt hatte. Es war alles so perfekt vorbereitet, geplant und organisiert, daß ich vor vollendeten Tatsachen stand und nichts mehr zu sagen brauchte. Ich wollte übrigens auch gar nichts sagen. Ich wußte, daß es mir nichts ausmachen würde. Ich würde allein besser zurechtkommen und zufriedener sein. Ich würde die Kinder behalten, und ich würde das Haus haben. Ich sagte zu allem ja und amen, und er stand vom Bett auf und ging nach unten, und ich bürstete weiter meine Haare und war kein bißchen aufgebracht oder außer Fassung. Einige Tage später kam seine Mutter mich besuchen, nicht, um mich zu bedauern oder um mir Vorwürfe zu machen, das muß ich ihr zugestehen. Sie wollte mich einfach darauf hinweisen, daß ich die Kinder nicht von Ambrose oder ihr fernhalten dürfe, nur weil er mich verlassen habe. Ich sagte, die Kinder seien nicht mein Eigentum, das ich abschirmen und vor jemandem fernhalten wolle, sondern Menschen, die schon jetzt über gewisse Dinge in ihrem Leben selbst entscheiden könnten, zum Beispiel darüber, wen sie sehen wollten, und ich würde sie niemals daran hindern. Dolly war ungeheuer erleichtert. Sie hatte nie viel für Olivia oder Noel übriggehabt, aber sie betete Nancy an, und Nancy liebte sie. Die beiden waren aus demselben Holz geschnitzt und hatten alles gemeinsam, was man gemeinsam haben kann. Als Nancy heiratete, war es Dolly, die ihr eine großartige Hochzeit in London ausrichtete, und Ambrose kam eigens aus Huddersfield her, um sie dem Bräutigam zu
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