Die Muschelsucher
dieses Arztes in Arkansas an. Ich war krank. Ich war eine Zeitlang sehr krank. Aber es war nicht Epilepsie.«
Er befürchtete einen Augenblick lang, sie würde wieder in Tränen ausbrechen. Aber sie umarmte ihn nur und drückte ihn so sehr, daß er zu ersticken glaubte. »O Danus, Liebling, es ist ein Wunder.« Er löste sich, hielt aber ihre Hände fest. »Aber das ist noch nicht das Ende. Es ist nur der Anfang. Ein ganz neuer Anfang. Für uns beide. Weil ich möchte, daß wir von nun an alles zusammen tun, egal was es ist. Ich weiß nicht, was zum Teufel es sein wird, und ich kann dir immer noch nichts bieten, aber, bitte, wenn du mich liebst, laß nie wieder zu, daß wir voneinander getrennt werden.«
»O nein. Nie wieder.« Sie hatte aufgehört zu weinen, die Tränen waren vergessen, sie war wieder seine geliebte Antonia. »Wir werden das Gartencenter aufmachen. Irgendwo. Irgendwann. Wir werden das Geld irgendwo auftreiben.«
»Ich möchte eigentlich nicht, daß du nach London gehst und als Fotomodell arbeitest.«
»Ich auch nicht. Es muß eine andere Möglichkeit geben.« Sie hatte eine glänzende Idee. »Ich hab’s. Wir können die Ohrringe verkaufen! Die Ohrringe von Tante Ethel. Sie sind mindestens viertausend Pfund wert. Ich weiß, es ist nicht allzu viel, aber es wäre ein Anfang, nicht wahr? Wir hätten etwas, womit wir anfangen können. Und Penelope hätte bestimmt nichts dagegen. Als sie mir die Ohrringe schenkte, hat sie ausdrücklich gesagt, ich könnte sie verkaufen, wenn ich wollte.«
»Möchtest du sie nicht behalten? Als Erinnerung an sie?«
»O Danus, ich brauche keine Ohrringe, um mich an sie zu erinnern. Ich habe tausend Dinge, die mich an sie erinnern.« Während sie redeten, hatte die Kirchenglocke die ganze Zeit über geläutet. Das Bim, Bim, Bim klang über das hügelige Land. Nun hörte es plötzlich auf.
Sie sahen sich an. Er sagte: »Wir müssen gehen. Wir müssen dabei sein. Wir dürfen nicht zu spät kommen.«
»Ja, natürlich.«
Sie standen auf. Sie fuhr sich rasch durchs Haar und beklopfte mit den Fingerspitzen ihre Wangen. »Sieht man, daß ich geweint habe?«
»Nur ein bißchen. Niemand wird sich etwas dabei denken. An einem solchen Tag.«
Sie drehte sich vom Spiegel fort. »Ich bin soweit«, sagte sie. Er nahm ihre Hand, und sie gingen zusammen aus dem Zimmer.
Während die Familie zur Kirche ging, wurde das Läuten immer lauter, bis es unmittelbar über ihnen war und die Geräusche des Dorfes übertönte. Olivia sah die Autos, die am Bordstein parkten, die Trauergäste, die durch das Friedhofstor gingen und den Pfad zwischen den uralten Grabsteinen, von denen manch einer schief stand, entlangschritten. Bim. Bim. Bim.
Sie blieb kurz stehen, um ein paar Worte mit Mr. Bedway zu wechseln, und folgte den anderen dann in die Kirche. Die Kälte von den Steinplatten und den nackten Mauern war nach dem warmen Sonnenschein draußen schneidend. Es war fast, als beträte sie eine Gruft, und es herrschte ein modriger Geruch, der sie an die Vergänglichkeit allen Lebens denken ließ. Aber es gab auch eine fröhliche Note, denn das Mädchen aus Pudley hatte seine Arbeit getan, und wohin man auch sah, standen Gestecke von Frühlingsblumen. Die kleine Kirche war bis zum letzten Platz besetzt. Das war ein Trost, denn sie hatte leere Kirchenbänke immer unsäglich deprimierend gefunden.
Während sie den Mittelgang entlangschritten, hörte die Glocke unvermittelt auf zu läuten. In der nun eintretenden Stille hallten ihre Schritte laut auf den Platten wider. Die beiden ersten Bankreihen waren frei, und sie traten hintereinander in die erste und nahmen ihre Plätze ein. Olivia, Nancy, George und als letzter Noel. Dies war der Augenblick, vor dem Olivia sich gefürchtet hatte, denn unmittelbar vor ihr, an den Stufen zum Altar, stand der Sarg. Sie wandte feige den Blick ab und schaute sich um. Zwischen den vielen unbekannten Gesichtern - die Einwohner von Temple Pudley, nahm sie an, die der Verstorbenen die letzte Ehre erweisen wollten - sah sie andere, die sie seit Jahren kannte. Viele waren von weither gekommen. Die Atkinsons aus Devon; Mr. Enderby von Enderby, Looseby &Thring; Roger Wimbush, der Porträtmaler, der vor vielen Jahren als Akademiestudent in das alte Atelier von Lawrence Stern im Garten des Hauses in der Oakley Street gezogen war. Sie sah Lalla und Willi Friedmann, die mit ihren feinen, blassen Zügen wie Bewohner einer anderen Welt wirkten. Sie sah Louise Duchamp in einem
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