Die Muschelsucher
reflektierende Sonnenlicht ganz durchscheinend machte. Und die rührenden Gestalten der drei Kinder an der rechten Seite des Bildes, zwei Mädchen mit Strohhüten und hochgeschürzten Röcken und ein Knabe. Alle drei waren braungebrannt und barfuß und betrachteten aufmerksam den Inhalt eines kleinen roten Eimers.
»He.« Er schien ausnahmsweise um Worte verlegen. »Was für ein großartiges Bild.«
»Nicht wahr.« Penelope lächelte voll Stolz, wie immer, wenn ein Gast das Gemälde bewunderte. »Mein kostbarster Besitz.«
»Bei Gott.« Er suchte nach der Signatur. »Von wem ist es?«
»Von meinem Vater. Lawrence Stern.«
»Lawrence Stern war Ihr Vater? Olivia, das hast du mir gar nicht erzählt.«
»Ich dachte, es ist besser, wenn meine Mutter es dir sagt. Sie weiß viel mehr über seine Arbeit.«
»Gehörte er nicht zu. zu den Präraffaeliten?« Penelope nickte. »So ist es.«
»Aber dieses Bild wirkt irgendwie impressionistisch.«
»Ich weiß. Interessant, nicht wahr?«
»Wann ist es gemalt worden?«
»Ungefähr 1927. Er hatte damals ein Atelier am Nordstrand von Porthkerris, und dies war das Panorama vor seinem großen Fenster. Das Bild heißt Die Muschelsucher - und das kleine Mädchen links bin ich.«
»Aber warum ist der Stil so anders?«
Penelope zuckte mit den Schultern. »Das hat wohl verschiedene Gründe. Jeder Maler muß sich weiterentwickeln, neue Ausdrucksmittel suchen. Sonst wäre er kein richtiger Künstler. Außerdem hatte er inzwischen Arthritis in den Händen bekommen und war physisch einfach nicht mehr imstande, die Details mit derselben liebevollen Sorgfalt und Genauigkeit zu malen wie vorher.«
»Wie alt ist er damals gewesen?«
»1927? Lassen Sie mich nachdenken. Ja, zweiundsechzig. Er ist sehr spät Vater geworden. Er hat erst mit fünfundfünfzig geheiratet.«
»Haben Sie noch andere Bilder von ihm?« Er blickte auf die Wände ringsum, die wie in einer Galerie mit Bildern vollgehängt waren. »Nein, jedenfalls nicht hier im Wohnzimmer«, entgegnete Penelope. »Die meisten Bilder, die hier hängen, sind von Freunden und Kollegen von ihm. Aber ich habe noch zwei unvollendete Tafelbilder, sie sind oben im Flur. Es sind seine letzten Werke, und als er sie malte, war seine Arthritis so schlimm geworden, daß er kaum noch den Pinsel halten konnte. Deshalb hat er sie nie fertiggestellt.«
»Arthritis? Ein grausames Schicksal für einen Maler.«
»Ja. Es war sehr traurig. Aber er hat es recht gut verkraftet, weil er es philosophisch gesehen hat. Er sagte immer: ›Ich habe etwas für mein Geld gehabt‹, mehr nicht. Aber es muß trotzdem schrecklich frustrierend für ihn gewesen sein. Er behielt das Atelier noch lange, nachdem er aufgehört hatte zu malen, und wenn er deprimiert war oder einen schwarzen Hund auf der Schulter hatte, wie er sich ausdrückte, ging er hin und setzte sich ans Fenster und sah auf das Meer und den Strand hinaus.«
»Kannst du dich an ihn erinnern?« fragte er Olivia. Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Als ich geboren wurde, war er schon tot. Nancy, meine Schwester, ist in Porthkerris zur Welt gekommen. Sie hat ihn noch gekannt.«
»Haben Sie das Haus noch?«
»Nein«, sagte Penelope bekümmert. »Wir mußten es zuletzt verkaufen. «
»Fahren Sie noch manchmal dorthin?«
»Ich bin seit vierzig Jahren nicht mehr da gewesen. Aber. Sonderbar, daß sie das fragen, ich habe erst heute morgen gedacht, ich müßte wirklich wieder hin und mir alles noch einmal ansehen.« Sie blickte auf Olivia. »Warum kommst du nicht mit? Nur für eine Woche. Wir könnten bei Doris wohnen.«
»Oh.« Olivia zögerte. »Ich. ich weiß nicht.«
»Wir könnten fahren, wann es dir paßt.« Penelope biß sich auf die Lippe. »Aber es ist dumm von mir. Ich weiß ja,
daß du kaum über deine Zeit verfügen kannst.«
»O Mama, es tut mir leid, aber es ist ein bißchen schwierig. Ich kann erst im Sommer Urlaub machen, und ich habe mit einigen Freunden vereinbart, nach Griechenland zu fahren. Sie haben eine Villa und eine Jacht.« Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Sie hatten erst ein- oder zweimal beiläufig darüber gesprochen und noch nichts Festes vereinbart, aber Urlaub war so wichtig für sie, und sie sehnte sich nach der Sonne. Sobald die Worte heraus waren, kam sie sich jedoch schuldig vor, weil sie den enttäuschten Ausdruck im Gesicht ihrer Mutter sah, aber er wurde rasch von einem verständnisvollen Lächeln abgelöst.
»Natürlich. Ich hätte daran denken sollen. Es
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