Die Muschelsucher
zurückblicken. Keine verspätete Reue.«
Olivia lächelte tapfer. »Nein. Keine verspätete Reue.«
»Und wenn ich nichts anderes von dir höre, erwarte ich dich nächstes Wochenende. Mit Antonia.«
»Ich rufe vorher noch mal an.«
»Auf Wiedersehen, Liebling.«
Sie waren fort. Sie war fort. Olivia in ihrem schönen kastanienbraunen Mantel mit dem Nerzkragen, und dem Strauß Winterling fest in der Hand. Wie ein kleines Mädchen. Penelope war voll Mitgefühl für sie. Die eigenen Kinder hörten nie auf, Kinder zu sein. Auch wenn sie achtunddreißig waren und erfolgreiche Karrierefrauen. Man selbst konnte alles ertragen, aber seine Kinder leiden zu sehen, war herzzerreißend. Ihre Gedanken waren bei Olivia, begleiteten sie zurück nach London, aber ihr Körper, der von dem langen und arbeitsreichen Tag müde war, rief sie in die Wirklichkeit zurück, und sie ging wieder ins Haus.
Am nächsten Morgen fühlte sie sich immer noch zerschlagen und müde. Als sie aufwachte, war sie schrecklich deprimiert und wußte nicht warum, bis ihr Cosmo einfiel. Es regnete, und ausnahmsweise erwartete sie keine Gäste zum Mittagessen, so daß sie bis halb elf im Bett blieb, und als sie endlich aufgestanden war und sich angezogen hatte, ging sie ins Dorf, um die Sonntagszeitung zu holen. Die Kirchenglocken läuteten, und einige Leute gingen zum Gottesdienst. Penelope wünschte sich nicht zum erstenmal, aufrichtig religiös zu sein. Sie glaubte an Gott und ging Weihnachten und Ostern immer in die Kirche, weil das Leben, wenn man nicht an ein höheres Wesen glaubte, unerträglich war. Doch als sie nun die Dorfbewohner sah, die den Kiesweg zwischen den alten schiefstehenden Grabsteinen zu der kleinen Holzkirche hochgingen, dachte sie, wie schön es wäre, sich ihnen in der Gewißheit anzuschließen, einen Trost zu finden. Aber sie tat es nicht. Es hatte noch nie geklappt, und es war unwahrscheinlich, daß es diesmal klappen würde. Der liebe Gott hatte nicht die Schuld, es mußte an ihrer eigenen Geisteshaltung liegen. Als sie wieder zu Hause war, zündete sie ein Feuer im Kamin an, las den Observer und zwang sich dann, eine übriggebliebene Scheibe des Bratens zu essen, der im kalten Zustand ganz gut als Roastbeef durchgehen konnte, dazu einen Apfel und ein Glas Wein. Sie aß in der Küche, ging dann wieder ins Wohnzimmer und hielt einen kleinen Mittagsschlaf. Als sie aufwachte, sah sie, daß es aufgehört hatte zu regnen, und sie stand vom Sofa auf, zog ihre Gummistiefel und ihre alte Jacke an und ging hinaus in den Garten. Sie hatte die Rosen im Herbst beschnitten und ihnen reichlich Kompost gegeben, aber es gab immer noch tote Zweige, und sie drang in das dornige Dickicht vor und nahm sie in Angriff.
Wie immer, wenn sie sich auf diese Weise betätigte, verlor sie jedes Zeitgefühl, und ihre Gedanken drehten sich einzig und allein um ihre Rosen, als sie sich aufrichtete und zwei Gestalten über den Rasen auf sich zukommen sah. Sie war überrascht, denn sie hatte kein Auto kommen hören und erwartete niemanden. Ein Mädchen und ein Mann. Ein großgewachsener Mann mit dunklem Haar und blauen Augen, offenbar sehr gut aussehend, der die Hände in den Taschen hatte. Ambrose. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, und sie schalt sich eine Närrin, denn es war natürlich nicht Ambrose, der sich ihr aus den Schatten des Jenseits näherte, sondern ihr Sohn Noel, der so viel Ähnlichkeit mit seinem toten Vater hatte, daß sie oft dieses unheimliche Gefühl hatte, wenn er unerwartet auftauchte.
Noel. Mit einem Mädchen, natürlich.
Sie riß sich zusammen, setzte ein Lächeln auf, steckte die Rosenschere in die Tasche, zog die Handschuhe aus und trat aus dem Beet.
»Hallo, Ma.« Er hatte sie erreicht und gab ihr, ohne die Hände aus den Taschen zu nehmen, einen Kuß auf die Wange. »Was für eine Überraschung. Woher kommst du?«
»Wir waren in Wiltshire. Ich dachte, es wäre vielleicht eine gute Idee, auf dem Rückweg vorbeizukommen und zu sehen, wie es dir geht.« Wiltshire? Auf dem Rückweg von Wiltshire vorbeigekommen? Sie mußten einen meilenweiten Umweg gemacht haben. »Das ist Amabel.«
»Sehr erfreut, guten Tag.«
»Hallo«, sagte Amabel und traf keine Anstalten, die Hand auszustrecken. Sie war klein wie ein Kind, und ihre Haare sahen aus wie ein Gewirr von Seetang, und sie hatte runde, hellgrüne Augen, die wie zwei Stachelbeeren aussahen. Sie trug einen gewaltigen, knöchellangen Tweedmantel, der Penelope irgendwie bekannt
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