Die Muse des Mörders (German Edition)
nicht die Mühe gemacht, das Haus abzusperren, in dem Tabea Rabe gewohnt hatte. Die Straße war leer, die Reporter alle vor Vecinas Haus versammelt. Er betrat den kühlen Hausflur und stieg die Treppe hinauf. Von oben drang Stimmengewirr an sein Ohr und er wappnete sich gegen das Durcheinander aus Beamten und Aspiranten, das ihn dort erwartete. Am liebsten war es ihm, wenn er einen Tatort allein begutachten konnte. Als er die helle Dachgeschoßwohnung betrat, schlug ihm direkt das süße, leicht rostige Aroma des Todes entgegen. Ein Zeichen dafür, dass der Leichenbrand eingesetzt und die Totenstarre nachgelassen hatte. Die Säuren, die der Körper dabei absonderte, sickerten in Teppiche und Holzböden und erzeugten diesen speziellen Geruch.
Dominik ließ sich von seinem Vorgänger, Kriminalinspektor Volker Treger, die wichtigsten Informationen geben. Seltsamerweise wirkte dieser erleichtert, dass er den Fall abgeben konnte. Dominik bedankte sich knapp und wandte sich der Verstorbenen zu.
Tabea Rabe lag auf dem Bauch, den Kopf dem Fenster zugedreht, als wollte sie hinausschauen. In ihrem Rücken klaffte eine Stichwunde.
Ein Messer oder eine ähnliche Waffe hatte die Rippen durchstoßen und war zielgenau in ihr Herz eingedrungen. Auf dem Parkettboden hatte sich eine Blutlache gebildet und die kitschig blauen Sessel, die für etwas Extravaganz in der Wohnung sorgten, waren rotbraun gesprenkelt. Auf dem Gesicht der Frau lag ein überraschter Ausdruck. Zu Lebzeiten musste sie hübsch gewesen sein, mit feinen Zügen und der schlichten Eleganz einer klassischen Schönheit, die sofort alle Blicke auf sich zog.
Wie er von Treger wusste, hatte sie nur zehn Gehminuten von ihrem Haus entfernt gearbeitet. Sie war im Ronacher als Schauspielerin tätig gewesen. Wie Freunde der Toten berichteten, war Tabea Rabe kein Kind von Traurigkeit gewesen. Aus ihren wechselnden Affären hatte sie keinen Hehl gemacht und ihre Freiheit und Unabhängigkeit genossen. Zuletzt war die junge Darstellerin mit dem Theaterregisseur Thomas Steigermann liiert gewesen. Dominik nahm sich vor, sich den Burschen genauer anzusehen. Morde in Beziehungen waren keine Seltenheit. Oft spielte Eifersucht eine Rolle, manchmal war es aber auch der pure Hass, der den einen Partner dazu trieb, den anderen zu töten. Vielleicht hatten sich Rabe und Steigermann zerstritten und er hatte im Eifer des Gefechts zugestochen. Dominiks Instinkt sagte ihm allerdings, dass es nicht so einfach werden würde. Die Tat war nahezu exakt nach dem gleichen Schema abgelaufen wie die anderen zwei Morde der Dolchstoßserie. Der Täter hatte das Opfer niedergeschlagen und dann durch einen Stich ins Herz getötet. Trotzdem durfte Dominik keine voreiligen Schlüsse ziehen. Es war möglich, dass Steigermann den Modus Operandi des Mörders kopiert hatte, um von sich abzulenken. Das altbekannte Trittbrettfahrer-Problem. Am besten würde es sein, Steigermann heute noch zu verhören. Während die Spurensicherung zugegen war, konnte Dominik sich sowieso nicht richtig auf das Opfer und seine Lebensumstände einstellen. Er würde später zurückkommen.
Unter den Blicken seiner neuen Kollegen verließ er die Wohnung. Auf dem Polizeipräsidium war er für seinen eigensinnigen Charakter bekannt und einige hatten ein Problem mit seiner gründlichen, konzentrierten und manchmal sturen Art. Dominik war das egal. Anders als andere Polizisten betrachtete er seine Arbeit nicht nach acht Stunden Dienst als getan. Er machte Überstunden und nahm sich zum Unwillen seiner Frau Akten mit nach Hause. Akribisch sortierte er Indizien, verhörte wieder und wieder Verdächtige, bis er die eine Ungereimtheit fand, die ihn zum Ziel führte. Er hoffte, dass die anderen Mitarbeiter der Sonderkommission seine Auffassung teilten. Über Inspektor Treger wusste er nicht viel, aber Reinhardt hatte sicher einen Grund dafür, ihn dem älteren Kollegen vorzuziehen. Vielleicht war es aber auch nur der öffentliche Druck, unter den ihn die Tatsache setzte, dass ausgerechnet Wien Schauplatz zweier Mordserien binnen so kurzer Zeit wurde. Dominik war niemand, der gern Zeit verlor, und er hoffte für die anderen Mitglieder der Soko, dass sie mit ihm mithalten konnten.
8.
Madeleine erinnerte sich an ihre erste Begegnung mit Paul, als wäre es gestern gewesen. Vor ihrem inneren Auge sah sie ihn noch immer durch die Tür des Kaffeehauses kommen, gekleidet wie ein salonfähiger James Dean. Sein lässiges Auftreten und
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