Die Muse des Mörders (German Edition)
dich gewartet und ich werde weiter warten.« Schwach drückte er ihre Hand. »Nur an einem anderen Ort.« Damit schloss er die Augen.
Jetzt konnte Madeleine die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie drückte die freie Hand auf ihren Mund und spürte, wie die Kraft aus Pauls Körper wich. Noch einmal atmete er tief durch und es klang wie ein erleichtertes Seufzen. Es war alles getan und alles gesagt. Ein zufriedener Ausdruck lag auf seinen Zügen, als er sich dem Durcheinander dieser Welt für immer entzog.
Madeleine hoffte, dass die Gerüchte stimmten, die über den Augenblick des Todes kursierten. Dass Paul nun nichts als Glück und Erleichterung empfand oder einen der schönen Momente, die das Leben ihm geboten hatte, noch einmal durchleben durfte. Bei vielen dieser Momente war Madeleine an seiner Seite gewesen und nun würde sie nie mehr an seiner Seite sein.
Bevor der Schmerz sie übermannen konnte, rief sie per Knopfdruck die Schwester. Pauls Körper würde nun zum letzten Mal Teil eines irdischen Vorganges sein und sie, Madeleine, würde sich an einen neuen Wegbegleiter gewöhnen müssen. Die Einsamkeit.
11.
Der erwartete Streit blieb aus. Hannah begrüßte ihn mit einem Stück Kuchen, Kaffee und einem Lächeln, anstatt ihn mit Fragen zu löchern oder ihm eine Strafpredigt zu halten. Die Kinder saßen vor dem Fernseher und wollten sich nicht von ihm ablenken lassen, sodass er sich wohl oder übel zu seiner Frau an den Tisch setzen musste.
Dominik konnte ihr weder in die Augen sehen noch ihren Blick aushalten. Schweigend stopfte er eine Gabel Kuchen nach der anderen in sich hinein und fragte sich, ob Hannah die Stille auch so unerträglich fand. Es gab Menschen, mit denen er das Schweigen genießen konnte. Hannah gehörte nicht dazu.
Auf Dauer konnte es so nicht weitergehen. Sie mussten eine Lösung finden. Eine Lösung, die nicht allzu schmerzhaft für die Kinder war.
Zuallererst musste er Hannah klarmachen, dass es ein Problem in ihrer Ehe gab. So wie er sie einschätzte, hatte sie nicht begriffen, dass es sich hierbei um mehr als nur ein Beziehungstief handelte.
Er wagte nun doch, den Kopf zu heben und sie anzusehen. Ein Lächeln umspielte noch immer ihre Lippen und sie streckte die Hand aus, um seine zu berühren. Er duldete die Geste, auch wenn er sich unwohl dabei fühlte.
»Du wirkst angespannt, Liebling.« Die Sanftheit in ihrer Stimme stand in krassem Gegensatz zu der Schroffheit und Härte seiner eigenen Worte.
»Ich arbeite für die Mordkommission. Da ist nicht immer alles nur schön.«
»Ich weiß. Hier ist auch nicht immer nur alles schön.«
Dominik erwiderte nichts. Was wusste sie schon vom Leben? Wohlbehütet als Tochter eines Bankchefs aufgewachsen, hatte sie nie arbeiten müssen. Dank unzähliger Privatlehrer hatte sie die Matura mit Auszeichnung gemeistert. Sie hatte Pharmazie studiert und war kurz vor ihrem Abschluss passenderweise schwanger geworden. Seitdem hatte sie nicht einmal mehr einen Gedanken an ihr Studium oder einen Job verschwendet.
»Möchtest du noch etwas?« Hannah stand auf, um den Tisch abzuräumen.
Er schüttelte den Kopf und zückte sein Handy.
»Erst sechs. Ich muss noch einmal los.«
»Kommst du heute Nacht zurück?«
»Ich denke schon. Wenn ich nicht wieder irgendwo reingezogen werde.«
Sie verharrte, drehte sich dann zu ihm um und musterte ihn belustigt.
»Was ist?« Ihr Blick machte ihn nervös.
»Du weißt schon, wie das klingt.« Sie lachte leise und wandte sich den schmutzigen Kuchentellern zu.
»Nein. Was meinst du?« Dominik merkte, wie er errötete.
»Irgendwo reingezogen werden … Das klingt, als könntest du nichts dafür.« Noch immer lachend räumte sie die Teller in den Geschirrspüler.
»Ich weiß nicht, was du meinst, Hannah. Ich kann nichts dafür. Wenn eine Leiche gefunden wird oder …«
Hannah winkte ab und schüttelte den Kopf.
»Ist schon gut. Geh nur. Geh.«
12.
Als Madeleine aus der Hektik der Klinik auf die Straße trat, war es schon dunkel. Es hatte ein wenig abgekühlt und eine Gänsehaut überzog den Teil ihrer Füße, den die leichten Schuhe nicht bedeckten. Trotzdem war es immer noch zu warm für den beginnenden Herbst, die stickigen Sommertage klebten hartnäckig in den Straßen.
Lucy hatte Madeleine angeboten, sie abzuholen, doch sie bevorzugte es, jetzt allein zu sein. Langsam setzte sie sich in Bewegung und ihre Schritte erzeugten einen unnatürlich lauten
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