Die Muse des Mörders (German Edition)
Brettertür am anderen Ende. Er schloss die Tür hinter sich und sperrte seine teuflischen Gesellen aus. Den unangenehmsten Teil hatte er hinter sich. Er war so gut wie da und war wieder einmal nicht erwischt worden. Er ermahnte sich selbst, mehr Vertrauen zu haben.
Die Kälte wich aus seinen Knochen, er spürte wieder eine unerträgliche Hitze. Auch die Übelkeit verzog sich und er war froh, dass sie nicht mehr in seinen Eingeweiden wühlte. Er machte die letzten paar Schritte zu der Tür, hinter der sich sein Ziel verbarg, und strich mit der Hand über das rissige Holz. Es war eine perfekte Tarnung. Falls jemals jemand hierher kommen sollte, würde er bei seinem Anblick nie auf das Geheimnis schließen, welches sich dahinter verbarg.
Er zog einen Schlüssel aus der Hosentasche, schob ihn in die Unterseite des Vorhängeschlosses und löste den Riegel. Selbst, wenn jemand so weit ging, würde ihm nichts auffallen. Dies war nicht der Folterkeller eines Wahnsinnigen. Es stand kein rostiger Seziertisch wie ein Altar über einem blutverschmierten Abfluss in der Mitte des Raumes, keine Knochensägen und Kneifzangen stapelten sich in den metallenen Regalen. Er glaubte von sich, einen gewissen Anstand zu besitzen, und so hielt er seine Schätze gut verschlossen in verzierten Holzkistchen.
Er näherte sich ihnen langsam, denn immer, wenn er sie erblickte, machte sich Ehrfurcht in ihm breit. Sie waren perfekt. Er streckte die Hand nach einer Mahagonikiste aus, strich mit den Fingern darüber und öffnete sie voller Ergebenheit. Im Licht des Strahlers an der Decke schimmerte die rotbraune Färbung blutrot. Ein Adrenalinstoß durchfuhr ihn, als er das erste Stück seiner Sammlung vorsichtig aus der Kiste nahm. Langsam ließ er es durch seine Hände gleiten und genoss die Glätte, die es fast glitschig anmuten ließ. Schlagartig fühlte er sich gesund. Wenn irgendjemand spüren könnte, was er in diesem Moment spürte, würde er ihn verstehen. In seinen Händen schien sein Souvenir zu pulsieren und beinahe zum Leben zu erwachen. Er hörte seine eigenen schweren Atemzüge und das Rauschen seines Blutes. Trotz des Widerstrebens, das sich immer wieder durch seine Gedanken zog, wuchs mit jedem weiteren Stück die Gewissheit, dass das, was er tat, seine Bestimmung war. Er war geschaffen worden, um die vielleicht letzten wirklich schönen Dinge dieser verkommenen Welt zusammenzutragen. Er hatte lange gebraucht, um zu verstehen, was seine Berufung war, doch die Zeit des Wartens war vorbei. Sein Stern hatte ihn gefunden.
14.
Lucy starrte die blank polierte Tischplatte an, in der sich ihr eigenes Gesicht verschwommen spiegelte. Sie wippte mit dem Fuß und lauschte dem eintönigen Rascheln, mit dem Madeleine die Seiten ihres Notizbuches durchblätterte. Sie würde lieber irgendetwas tun. In Bewegung sein, Bestatter abklappern, Grabstätten besichtigen oder was auch immer es zu tun gab, wenn jemand gestorben war. Das Sitzen und Warten machte sie wahnsinnig. Es blieb zu viel Raum für Gedanken. Gedanken, die fortwährend zu Paul Pellingers Tod wanderten. Sie hatte ihn nicht so gut gekannt wie Madeleine, aber gut genug, um ihn jetzt schon zu vermissen. Es gab nicht viele Menschen, über die sie rein gar nichts Negatives zu sagen hatte. Er war so ein Mensch gewesen.
Sie versuchte, sich auf die Gästeliste zu konzentrieren, und war doch nicht ganz bei der Sache. Durch ihren Kopf hallte ein Song, den sie die ganze letzte Nacht auf ihrem mp3-Player gehört hatte. Hurt von Johnny Cash, eines ihrer Lieblingslieder. Cash war bei den Aufnahmen alt und schwer krank gewesen und seine Worte berührten Lucy jedes Mal, wenn sie sie hörte.
»Denkst du, ich sollte Georg einladen?« Es wirkte, als ob auch Madeleine seit gestern älter geworden wäre. Die Falten um ihre Augen wirkten tiefer und ihre Lippen schmaler. Vielleicht hatte Paul ein Stück von ihr mitgenommen.
»Ausgerechnet!« Lucy runzelte die Stirn.
Madeleine blickte auf und fixierte sie mit ihren hellblauen Augen. Sie zog eine Braue hoch, wie sie es immer tat, wenn sie erwartete, dass Lucy noch mehr zu sagen hatte. Lucy würde ihrer Arbeitgeberin aber sicher nicht ihre unverblümte Meinung über deren Bruder, den Theaterautor Georg Scuderi, ins Gesicht schleudern. Den wahrscheinlich widerlichsten Menschen, dem sie je begegnet war, und sie war nicht wenig widerlichen Menschen begegnet. Sie hatte mit Dealern zu tun gehabt, für die Frauen genauso eine Ware waren wie
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