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Die Muse des Mörders (German Edition)

Die Muse des Mörders (German Edition)

Titel: Die Muse des Mörders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Wedler , Nadine d'Arachart
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der Gäste.
    »Machen Sie sich deswegen keine Sorgen, Hochwürden. Mein Freund Paul wusste, dass Pünktlichkeit nicht zu meinen Stärken zählt.«
    Die Abneigung der Anwesenden gegen den ungebetenen Gast war deutlich spürbar, doch nach kurzem Zögern nahmen sie die Zeremonie wieder auf. Während weitere Blüten und immer mehr Erde ins Grab rieselten, musterte Madeleine ihren Bruder abschätzig.
    »Was suchst du hier?«
    »Du hast mich eingeladen.« Ein breites Grinsen enthüllte seine makellosen Zähne. Als sie noch echt gewesen waren, waren sie nie so perfekt gewesen.
    »Ich habe dich benachrichtigt.«
    »Warum solltest du mich benachrichtigen, wenn du mich nicht dabeihaben wolltest?«
    »Vielleicht einfach nur, damit deine ätzenden Bemerkungen über ihn endlich ein Ende haben.«
    »Nur, weil er tot ist?« Georg schnalzte mit der Zunge. »Ich bitte dich.«
    Sein beißender Spott traf Madeleine längst nicht mehr. Sie hatte sich damit abgefunden, dass sich der Hass auf Paul in den Geist ihres Bruders gefressen hatte wie ein Parasit. Dabei waren die beiden einst Freunde gewesen. Der junge Anwalt und der Theaterautor hatten während der Sechzigerjahre gemeinsam das Wiener Nachtleben unsicher gemacht, hatten Frauen verführt, Drogen probiert und nächtelang betrunken über Jazz, Literatur und Kunst debattiert. Mit Georg war es immer lustig gewesen und auch Madeleine, die damals eine Wohnung mit ihrem Bruder geteilt hatte, hatte seine Gesellschaft meist genossen. Meist. 
    Doch Georg hatte eine zweite Seite. Er trug ein krankes, besitzergreifendes Ekel in sich, das es nicht ertragen konnte, dass Madeleine sich mit dem Erwachsenwerden immer mehr von ihm gelöst hatte. Immer öfter hatte es Streit gegeben und sie war ins Hawelka, ihr zweites Zuhause, geflohen. Wie der Zufall es wollte, war sie dort ausgerechnet Georgs bestem Freund begegnet. Um Paul war es sofort und für den Rest seines Lebens geschehen gewesen. Sie waren sich nähergekommen. Er hatte ihre ersten holprigen Texte förmlich verschlungen und sie hartnäckig ermutigt, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Aus dem Schatten ihres Bruders zu treten. Georg hatte es nicht ertragen, wie sie sich von ihm entfremdete und gleichzeitig an Selbstbewusstsein gewann. In dem Maß, wie aus ihren Schreibversuchen beschwingte Texte voller Liebe geworden waren, die den Zeitgeist der späten Sechziger und frühen Siebziger perfekt getroffen hatten, waren seine Theaterstücke zu schmuddeligen Hasstiraden mutiert.
    Auch im täglichen Leben hatten die beiden Geschwister sich immer weiter voneinander entfernt. Sie hatte durch Paul gemerkt, dass sie Georg nicht brauchte. Dass sie auch als Frau selbstständig und unabhängig sein konnte. 
    Wir haben jetzt nur noch uns, Madeleine. Wir müssen immer zusammenbleiben. 
    Sie erinnerte sich noch heute an das tränenüberströmte Gesicht des dreizehnjährigen Georg, der es nicht verwinden konnte, seine Eltern im Bombenhagel verloren zu haben. Diesem Jungen hatte sie als Siebenjährige das Versprechen gegeben, an seiner Seite zu bleiben, und er nahm es ihr bis heute übel, dass sie es als erwachsene Frau gebrochen hatte. Er hatte es Paul, seinem ehemals besten Freund, nie verziehen, dass er sie von ihm fort getrieben hatte. 
    Georg deutete auf das offene Grab. 
    »Kein heller Sarg? Ich hätte auf einen hellen Sarg getippt. Hast du dir das Nebengrab schon gesichert?«
    »Geh! Bitte geh! Wir können uns später zum Essen treffen.«
    »Kein Leichenschmaus?« Georg musterte seine Schwester.
    »Nein, das finde ich unnötig.« Wohlweislich verschwieg sie ihm, dass sich die Trauernden nachher noch auf einen Cognac im Hawelka treffen wollten. Georg war vor Jahrzehnten aus Wien weggezogen, nachdem er es sich mit allen hier restlos verscherzt hatte. Nach Madeleines Auszug aus der gemeinsamen Wohnung war er zusehends verroht. Kokainsüchtig, größenwahnsinnig und in seiner ganzen Erscheinung unangenehm. Das Alter hatte ihn ruhiger gemacht, doch auch jetzt verbreitete er eine feindselige Stimmung. Genau diese Aura war es, wegen der Madeleine seine Gesellschaft mittlerweile mied.
    Ihr letzter Besuch bei ihm in London war fünf Jahre her und hatte in einem Debakel geendet. Er hatte sie zur Premiere eines neuen Stückes eingeladen, eines klassischen Georg-Scuderi-Stückes, wie sich herausstellen sollte. Es war literweise Schweineblut geflossen und der Höhepunkt der Aufführung war eine brutale Vergewaltigungsszene gewesen, in der sich ein

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