Die Muse des Mörders (German Edition)
stolzierte zur ledernen Chaiselongue hinüber und balancierte dabei einen Mojito in einem Martinikelch in der Hand. Betont langsam überschlug sie die Beine und nippte an ihrem Getränk. Dominik genoss es, sie zu beobachten. Sie wirkte so entspannt, wie er es nach dem Presseauflauf vor dem Polizeipräsidium gern gewesen wäre. Um zu Rebecca zu fahren, hatte er sich nach dem Dienst durch den Hinterausgang geschlichen, als wäre er ein Verbrecher, kein Polizist.
»Ich habe übrigens weder Sperma noch Speichel oder Blutspuren gefunden. Lediglich Erbrochenes, aber der Schnelltest hat nichts ergeben. Der Typ ist schlau. Verhüllt sich.«
»Dachte ich mir.« Dominik konnte den Blick nicht von Rebeccas schlanker Gestalt abwenden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das Berufliche abgehakt war und sie zum Privaten übergehen würden.
»Die toxikologische Analyse war bei allen vier Opfern negativ.« Sie fischte ein Minzblatt aus ihrem Glas und kaute versonnen darauf herum. »Der Stich ins Herz ist bei jeder Leiche präzise erfolgt. Kein großes Rumstochern, kein mehrmaliges Zustechen. Er weiß genau, wohin er zielen muss. Der Gegenstand, mit dem er tötet …«
»Ein Dolch.«
»Vermutlich. Er wäre schmal genug gewesen, um durch den ICR zu gleiten und nur das Muskelgewebe zu zerstören …«
»ICR?«
»Intercostalraum.« Rebecca registrierte Dominiks fragenden Blick. »Der Rippenzwischenraum. Jedenfalls hätte der Dolch problemlos durchgepasst.«
»Verstehe«, sagte er, obwohl er rein gar nichts verstand.
»Wie erkläre ich dir das jetzt?« Rebecca streckte sich und sah ihn nachdenklich an. »Der Täter bringt eine enorme Kraft auf, wenn er zusticht. Bei allen drei Leichen waren die Rippen beschädigt, obwohl dies nicht nötig gewesen wäre. Vermutlich hat er die Klinge bis zum Schaft hineingestoßen.«
»Wir suchen also nach einem großen Mann.«
»Groß nicht unbedingt, aber kräftig. Vielleicht auch eine kräftige Frau.« Sie lachte.
Dominik beobachtete, wie ihre schlanken Finger ein weiteres Minzblatt aus dem Cocktail angelten. Er schloss eine Frau als Täterin aus. Nicht nur, weil Frauen generell weniger mordeten als Männer, sondern auch, weil Frauen eher im Stillen töteten. Sie vergifteten oder erstickten ihre Opfer, meist aus Selbstschutz, um ihre eigens aufgestellten Grenzen zu wahren. Männer hingegen töteten eher, um Grenzen zu überschreiten und Macht auszuüben oder zu demonstrieren. In diesem Fall passten beide Muster nicht. Es handelte sich offenbar um eine Raubmordserie, was mehr als ungewöhnlich war. Serienmörder waren meist Triebtäter, die es nicht darauf abgesehen hatten, etwas von Wert in ihren Besitz zu bringen. So oder so war Dominik davon überzeugt, dass sie es hier mit einem Mann zu tun hatten. Das Bild einer Frau, die gnadenlos mit dem Dolch zustieß, wollte ihm nicht glaubwürdig erscheinen.
»Es war keine Frau.«
»Dann sind wir uns ja endlich einmal einig.« Rebecca stellte ihr Glas auf dem Wohnzimmertisch ab und setzte sich neben ihn. Sie öffnete sein Hemd, wobei ihre langen Fingernägel klickernde Geräusche machten, wenn sie die Knöpfe berührten.
Dominik zog sie an sich und küsste ihren Hals, bevor er sich mit ihr aufs Sofa sinken ließ. Er streifte seine Hose ab und als sich ihre Lippen berührten, schmeckte er einen kühlen Hauch von Pfefferminz.
35.
Wie Paul es sich gewünscht hatte, fand die Beerdigung bei Sonnenuntergang statt. Zu dieser Tageszeit waren er und Madeleine oft über den Zentralfriedhof spaziert. Sie hatten die Stimmung gemocht, wenn das letzte Tageslicht durch die Blätter der mächtigen Bäume brach und sich erste Schatten über die Gräber und Gruften legten.
Es waren an die fünfzig Trauergäste gekommen, darunter Pauls Cousinen und einige Klienten, aber hauptsächlich Freunde und Bekannte. Madeleine wusste, dass Paul nur ihr wirklich nah gewesen war. Trotzdem war sie froh, dass sie nicht allein hier stand. Es war albern, aber die Vorstellung einer Beisetzung, für die sich kein Mensch interessierte, hatte sie schon immer als entwürdigend empfunden.
Sie befand sich als Einzige ganz vorn, keine zwei Meter von der offenen Grube entfernt. Die anderen Trauernden hatten sich hinter ihr versammelt und Lucy wartete im Wagen. Auch vorhin bei der Trauerfeier hatten die Gäste sie in Ruhe gelassen. Sie hatte ein Kondolenzbuch ausgelegt und war erleichtert, dass sie auch heute nicht mit endlosen Beileidsbekundungen rechnen musste. Es
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