Die Muse des Mörders (German Edition)
mich jetzt hineinlassen. Sie können sich nicht vorstellen …« Er brach ab. Sie hörte ihn durchatmen, als müsse er sich erst beruhigen. »Es geht hier um Leben und Tod. Wenn du mich jetzt nicht hinein und mit Madeleine Scuderi sprechen lässt, dann schwöre ich dir, dass sie dir das nie verzeihen wird.«
Lucy war verwirrt. Was konnte es geben, das so schlimm war, dass Madeleine deshalb wütend auf sie sein könnte? Sie hörte, wie der Mann auf der anderen Seite der Tür die Nase hochzog.
»Hat das nicht bis morgen Zeit?« Sie wollte kein Mitleid für den Mann empfinden, doch sie war sich immer sicherer, dass sie einfach überreagiert hatte, indem sie ihn gleich als Dolchstoßmörder abgestempelt hatte. Wenn sie sich vorstellte, dass er da draußen vor der Tür weinte, wurde ihr ganz anders.
»Morgen ist es vielleicht schon zu spät.« Seine Stimme brach. »Bitte, hab keine Angst vor mir.«
Lucy atmete tief durch, dann senkte sie die Hand auf die Klinke. Wer auch immer da draußen stand, konnte kein Ungeheuer sein. Er klang jung und er klang verzweifelt. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich jemand, der Hilfe brauchte, an Madeleine Scuderi wandte.
Sie drückte die Klinke herunter und öffnete die Tür. In der nächsten Sekunde bereute sie es. Der Mann stürmte ins Haus und wollte an ihr vorbei, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Instinktiv wich sie zur Treppe zurück und stellte sich ihm in den Weg. In seinem Blick lag ein Ausdruck, den sie nicht einordnen konnte, irgendwo zwischen Angst, Wut und Fassungslosigkeit. Auf jeden Fall verrückt.
»Bring mich zu Madeleine Scuderi«, sagte er. »Sofort.«
Lucy schüttelte den Kopf. Das Pfefferspray hielt sie immer noch fest umklammert in der Hand. Sie hatte es noch nie gebraucht und absurderweise hatte sie jetzt Hemmungen. Ganz kurz zuckte ihr Blick zu der kleinen Dose, lange genug, dass der Verrückte ihn bemerkte. Schneller, als sie reagieren konnte, ließ er ein Springmesser mit zerkratztem Griff aufschnappen und fuchtelte damit vor ihr in der Luft herum.
»Fallenlassen!«, schrie er und Lucy, vom ersten Schreck völlig überrumpelt, gehorchte. »Ich werde jetzt da hinaufgehen und mit Madeleine Scuderi sprechen und du wirst nicht versuchen, mich aufzuhalten.«
Er stieß sie von sich und wollte an ihr vorbei, doch sie griff nach dem Treppengeländer und hielt sich daran fest. Die andere Hand presste sie gegen die Wand, sodass er nicht an ihr vorbeikonnte. Sie hatte einen furchtbaren Fehler begangen, indem sie Mitleid mit dem Jungen gehabt hatte. Diesen Fehler konnte sie jetzt wiedergutmachen.
»In diesem Zustand und mit diesem Messer lasse ich Sie auf gar keinen Fall zu ihr.« Das Herz schlug ihr unangenehm im Hals und sie glaubte ernsthaft, dass sie sich gleich vor Angst in die Hose machen würde. »Wenn Sie nichts zu verbergen haben, dann kommen Sie morgen wieder. Jetzt raus!«
Sie konnte nicht sagen, was in seinen Augen aufflammte. Hass, Panik, eine Mischung aus beidem. Sein Gesicht, das eigentlich hübsch war, wurde zu einer wütenden Grimasse. Für einen Moment schien er mit sich selbst zu streiten, einen Kampf in seinem Inneren auszufechten, den sie nicht verstand, doch dann schüttelte er den Kopf. Der Zorn in seinen Zügen machte einem unglücklichen Ausdruck Platz, der so gar nicht zu dem passen wollte, was er als Nächstes tat. Er packte Lucy am Kragen, zog sie zu sich und drückte das Messer an ihre Kehle. Der Stahl fühlte sich kalt und gnadenlos an ihrer schweißfeuchten Haut an. Sie schluckte und spürte den Druck, spürte das Zittern seiner Hand.
»Ich werde hinaufgehen und mit ihr reden.« Seine Stimme war zu einem heiseren Flüstern gesenkt und er starrte sie an.
Sie konnte in seinem Blick nicht erkennen, wozu dieser Mann fähig war, und sie hatte Angst. Obwohl es kein Dolch war, den er gegen ihre Kehle drückte, war sie sich nun sicher, den Dolchstoßmörder vor sich zu haben. Eine Bestie, die direkt aus der Hölle stammte. Oder von einem noch schlimmeren Ort. Sie würde nicht zulassen, dass der Dolchstoßmörder sich die Frau schnappte, die sie aus der Gosse geholt hatte.
Sie wusste, dass sie noch eine winzige Chance hatte. Keine Zeit mehr, nachzudenken. Sie riss das Knie hoch und rammte es ihm mit voller Wucht in den Schritt. Aus ihrer Hosentasche zog sie ihr Handy und wählte 112. Ihr Angreifer ließ das Messer fallen, sank in die Knie und krümmte sich vor Schmerzen.
»Verdammte Scheiße«,
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