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Die Muse des Mörders (German Edition)

Die Muse des Mörders (German Edition)

Titel: Die Muse des Mörders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Wedler , Nadine d'Arachart
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Obdachloser namens Paul über eine Nonne namens Maddy hermachte. Sie hatte neben ihrem Bruder in der Loge des Duchess Theatre gesessen und nicht das Spektakel auf der Bühne, sondern sein Gesichtsausdruck hatte sie so angewidert, dass sie den Kontakt danach auf ein Minimum reduziert hatte. Noch am selben Abend war sie abgereist und hatte ihn bis heute nicht mehr gesehen.
    »Ich würde jetzt gerne einen Toast auf den Verstorbenen ausbringen.« 
    Der Geistliche kniff verärgert und irritiert die Augenbrauen zusammen. 
    »Das ist nicht der passende Anlass für einen Toast, denke ich.«
    Die anderen Gäste blickten Madeleine erwartungsvoll an. 
    »Ein Toast ist ein Trinkspruch, Georg. Wie du siehst, wird hier nicht getrunken.«
    »Da kann ich Abhilfe schaffen.« Georg zog mit der freien Hand einen Flachmann aus der Innentasche und öffnete ihn mit Daumen und Zeigefinger. Er nahm einen tiefen Schluck. 
    »Ich möchte einen Nachruf auf meinen verstorbenen Freund Paul ausbringen. Ein Gedicht, das uns beiden einst viel bedeutet hat.«
    »Georg, es reicht.« Madeleine wunderte sich nicht über die Mattigkeit in ihrer Stimme. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass es keinen Sinn machte, ihn jetzt zu stoppen. Die Blicke der anderen wanderten unsicher zwischen ihr und Georg hin und her, als dieser sich theatralisch räusperte und auf das Grab zutrat. 
    »Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom Wahnsinn, hungrig hysterisch nackt, wie sie im Morgengrauen sich durch die Negerstraßen schleppten auf der Suche nach einer wütenden Spritze …« Georg nahm eine Schaufel voll Erde aus der Schale und schüttete sie über den Sarg. 
    Die Trauergäste waren nähergekommen und lauschten gespannt. Madeleine musste nicht gespannt lauschen, sie kannte den Text in- und auswendig und sie wusste genau, warum Georg ausgerechnet Ginsbergs Geheul gewählt hatte. Um zu entweihen, was es zu entweihen gab. Um der Beerdigung die Würde zu nehmen. 
    »… mit Träumen, mit Drogen, mit Wahnvorstellungen, Alkohol und Schwanz und endlosem Blödsinn …« Noch eine Schaufel Erde. Ihr Bruder war die bösartige Karikatur des Priesters.
    »Georg.« Madeleines Stimme klang ruhig, aber schneidend. Er wandte ihr den Blick zu und wies mit der Hand auf sie, während die anderen Gäste empört die Münder verzogen, die Köpfe schüttelten und dennoch die Ohren spitzten, um auch ja kein einziges Wort des Eklats zu verpassen.
    »… die in der U-Bahn auf den Knien lagen und es hinausheulten, vom Dach gezerrt wurden und Genitalien und Manuskripte schwenkten …«
    »Georg!« Sie sah, wie der Priester errötete und andere Gäste betreten zu Boden sahen, aber niemand machte den Mund auf. 
    Georg spielte sein altes Spiel mit ihr. Das Wer-hat-das-Sagen-Spiel. Sie wusste nicht, wie lange sie sich schon fragte, was zum Teufel er eigentlich war, bloß ein armseliger Narzisst oder ein ausgewachsener Psychopath.
    »… die sich von Motorrad-Engeln in den …«
    »Du wirst jetzt sofort damit aufhören oder ich bin nicht mehr deine Schwester!«
    Er verstummte. Seine blauen Augen blitzten und sein Blick sprach Bände. Auch nach mehr als vierzig Jahren fühlte er sich noch von ihr verraten. Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und vollführte eine kleine Verbeugung vor der heuchlerischen Trauergemeinde. 
    »Meine Damen, meine Herren, wünsche noch einen angenehmen Abend.« Er wandte sich der Grube zu und verneigte sich tief. »Paul, dir noch eine erholsame Unendlichkeit unter zwei Metern Erde.« Er richtete sich auf, kam auf Madeleine zu, die immer noch etwas abseits auf dem Kiesweg stand, und lächelte sie an, als sei nichts gewesen. »Ruf mich an, Maddy.« Sein Lächeln wurde fast warmherzig und er verschwand in der aufziehenden Dunkelheit. 
    Madeleine spürte die gut fünfzig Augenpaare auf sich wie diffuse und doch gemeine Nadelstiche. 
    »Wir sehen uns gleich im Hawelka.« Damit machte auch sie auf dem Absatz kehrt und verließ den Friedhof.
     

36.
    Hektisch wühlte Lucy in den Taschen ihrer Jacke und suchte nach der Pfefferspraydose. Sie verfluchte sich selbst dafür, sie nicht immer bei sich zu haben.
    Bevor sie in das Haus von Madeleine Scuderi eingezogen war, war das Gefühl von Sicherheit viele Jahre lang fremd für sie gewesen. Tags auf der Straße, wenn ihr Freund sie losgeschickt hatte, um Handtaschen zu klauen und Drogen zu verticken, war sie stets auf der Hut gewesen. Nachts, wenn sie neben ihm im Bett gelegen hatte, hatte

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