Die Musik des Zufalls
schmutzig machen und wieder säubern –, ei n animalische r Automatismus. E r versucht e di e Leer e durc h Lektür e auszufüllen , erinnert e sich, wievie l Vergnüge n di e Büche r ih m unterweg s bereite t hatten, doc h jetz t fie l e s ih m schwer , sic h z u konzentrieren , un d kaum began n e r ein e Seit e z u lesen , bedrängt e ih n ei n Schwar m von Bilder n au s de r Vergangenheit : wi e e r a n eine m Nachmitta g vor fünf Monaten in Minnesota mit Juliette im Garten Seifenblasen gepustet hatte; wie er seinen Freund Bobby Turnbull in Boston durc h eine n brennende n Fußbode n hatt e stürze n sehen ; mit welche n Worte n e r Thérès e gebete n hatte , ih n z u heiraten ; das Gesicht seiner Mutter, als er sie nach ihrem Schlaganfall zum ersten m al i n Florid a i m Krankenhau s besuch t hatte; wie Donna al s Cheerleade r i n de r Hig h - Schoo l herumgehüpf t war . E r wollte sic h nich t a n al l da s erinnern , doc h solang e di e Geschichte n in de n Bücher n ih n nich t vo n sic h selbs t ablenkten , vermocht e er gege n de n Anstur m de r Erinnerunge n einfac h nichts auszurichten . E r ertru g dies e nächtliche n Attacke n fas t eine Woch e lang , abe r dan n brac h e r eine s Morgen s verzweifelt zusamme n un d fragt e Murks , o b e r ih m nich t ei n Klavier besorge n könnte . Nein , e s müss e kei n richtige s Klavie r sein, sagt e er , e r brauch e nu r etwas , u m sic h z u beschäftigen , eine Zerstreuung , u m sein e Nerve n z u beruhigen.
«Kann ich verstehen», sagte Murks betont einfühlsam. «Es muß ja einsam sein, so ganz allein hier draußen. Ich meine, der Jung e wa r scho n ziemlic h verquer , abe r immerhi n Ges ellschaft. Abe r da s wir d teuer . Wa s di r natürlic h kla r ist.»
«Mir egal», sagte Nashe. «Ich verlange kein richtiges Klavier. Allzuvie l sollt e e s nich t kosten.»
«Ha b noc h ni e vo n eine m Klavie r gehört , da s keine s ist . Von wa s fü r eine m Instrumen t rede n wi r h i er eigentlich?»
«Von einem elektronischen Keyboard. Sie kennen doch diese transportablen Dinger, die man an die Steckdose anschließt. Sie habe n Lautspreche r un d komisch e klein e Plastiktasten . S o was habe n Si e bestimm t scho n ma l i m Kaufhau s gesehen.»
«Kan n ic h nich t behaupten . Abe r da s heiß t j a nichts . Sa g mir einfach , wa s d u habe n willst , Nashe , un d ic h besor g e s dir.»
Zum Glück hatte er seine Notenhefte noch, Material zum Spiele n wa r als o genu g vorhanden . Al s e r sei n Klavie r verkauft hatte , wa r e s ih m zie m lich sinnlos erschienen, sie zu behalten, doc h hatt e e r e s nich t übe r sic h gebracht , si e wegzuwerfen , und s o ware n si e da s ganz e Jah r übe r i m Kofferrau m seine s Wagens mi t ih m herumgereist . Insgesam t ware n e s übe r ei n Dutzend Hefte: Auswahlen aus einer Vie l zahl von Komponisten (Bach, Couperin , Mozart , Beethoven , Schubert , Bartók , Satie) , ei n paar Heft e mi t Übunge n vo n Czern y un d ei n dicke r Ban d mit Klavierbearbeitungen von beliebten Jaz z - un d Bluesnummern. A m nächste n Aben d bracht e Murk s da s Instrument , un d so bizarr und lächerlich dieses Erzeugnis der Technik auch sein mocht e – i n Wahrhei t wa r e s kau m meh r al s ei n Kinderspielzeug
–, Nash e ho b da s Din g glücklic h au s de r Kist e un d stellt e e s auf den Küchentisch. Zwei Abende lang spielte er sich in den Stunde n zwische n Esse n un d Schlafengehe n wiede r ein, absolvierte zahllose Fingerübungen, um die eingerosteten Gelenk e geschmeidi g z u machen , un d lernt e di e Möglichkeiten und Grenzen der seltsamen Maschine kennen: die eigenartige Griffweite , di e verstärkte n Töne , der fehlende Anschlag. In dieser Hinsicht funktionierte das Keyboard eher wie ein Cembalo , un d al s e r a m dritte n Aben d endlic h richtig e Stück e zu spiele n begann , bemerkt e er , da ß älter e Werk e – Stücke , di e vor de r Erfindun g de s Klavier s geschriebe n worde n w are n – sich darau f meis t besse r anhörte n al s neuere . Als o konzentriert e er sic h au f Werke , di e vo r de m neunzehnte n Jahrhundert entstande n waren . Da s Notenbüchlei n de r Ann a Magdalena Bach , Da s Wohltemperiert e Klavier , «Die geheimnisvollen Barrikaden» . Wen n er dieses letztere spielte, mußte er unweigerlic h a n di e Maue r denken , un d e r spielt e e s immer wieder, viel öfter als irgendeines der anderen. Das Stück dauerte kau m länge r al s zwe i Minuten , un d a n keine r Stell e
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