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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Wohnzimmer betrat und grüßte, wie sie es immer tat.
    «Hallo, Papa.» Und zwei Sekunden später: «Hallo, Mutti.»
    Jürgen nahm die drei Tagebücher vom Tisch und verließ den Raum. Ich hörte seine Schritte auf der Treppe. Oben wurde eine Tür geschlossen, danach kam kein Laut mehr. Anne schaute mich an und bewegte unbehaglich die Schultern.
    «Geht es ihm immer noch so schlecht? Ich dachte, er wäre wieder in Ordnung. Heute Morgen war er doch in Ordnung.»
    «Udo hat sein Geständnis widerrufen», sagte ich und ging in die Küche. Anne folgte mir.
    «Und was passiert jetzt?»
    «Nichts.» Ich nahm ein Glas, hielt es unter den Wasserhahn, ließ es voll Wasser laufen, kippte es aus, füllte es erneut, kippte es aus, füllte es noch einmal   … Mein Kopf quoll über von einem Vater, der seinen Sohn im ersten Schmerz einen Mörder nannte, dem es bald darauf Leid tat, der die halbe Nacht unterwegs war   …
    Anne stand noch ein paar Minuten hinter mir, dann ging sie in ihr Zimmer. Ich ging in die Diele und rief Gretchen an. Sie wusste schon Bescheid.
    Frau Ziegler hatte sie informiert, dass Udo wieder im Dorf sei und sich in Kuhlmanns Haus verschanzt habe. Daheim dürfe er sich nicht mehr blicken lassen. Der Alte habe ein Schrotgewehr. Mehr sagte Gretchen nicht. Es gab nicht mehr zu sagen.
    Ich rief Hennessen an. Er kam schon beim ersten Klingeln an den Apparat. Aber er wusste es natürlich auch schon. Und mich bei ihm entschuldigen   … Es war nicht mehr nötig. Er sprach mit mir, wie er immer mit mir gesprochen hatte. Udos Widerruf erstaunte ihn nicht, für ihn war das die Wahrheit. Und seine Stute   …
    «Dafür muss ich mir wohl selbst ein bisschen Schuld geben», sagte er. «Ich hätte ihn nicht so anschnauzen dürfen, als er bei mir auftauchte und nach der Pistole fragte.»
    «Er war also wirklich bei Ihnen? Wann?»
    «Gegen zwölf ungefähr. Hab nicht auf die Uhr geschaut. Er war ja auch gleich wieder weg. Und kurz nach ihm tauchte der Alte auf und wollte wissen, ob er sich bei mir verkrochen und was er mir erzählt hatte. Wollte mir die Bude auseinander nehmen. Dann mal los, hab ich gesagt und bin zu Friedel gegangen, das war um halb eins.»
    «Und Udos Kleidung?»
    Hennessen verstand die Frage nicht. Ich musste deutlicher werden.
    «Nee», sagte er, «da war kein Blut dran. Seine Hände waren auch in Ordnung.»
    Er konnte sich gewaschen und umgezogen haben, während sein Vater die Leiche wegbrachte.
    Als ich später nach oben ging – Anne hatte sich in ihrem Zimmer eingeschlossen und Jürgen in unserem Bad, mit Renas Tagebüchern   –, hörte ich sein Weinen durch die geschlossene Tür. Er sprach, ich verstand nicht alles, aber doch genug.
    Zweimal den Ausdruck Mäuschen. Einmal sagte er: «Ich will dir jetzt nichts vorlügen. Ich war halt immer sehr mit mir selbst beschäftigt.» Dann sagte er: «Aber es wird eine ordentliche Gerichtsverhandlung geben, das verspreche ich dir. Ein Richter führt den Vorsitz, ich mache den Ankläger, und dann wird das Urteil vollstreckt.»
    Bis dahin hatte ich Angst gehabt in allen Variationen. Nun fühlte ich zum ersten Mal, was Panik ist, richtige Panik, das Entsetzen vor etwas, das man kommen sieht und nicht aufhalten kann.
    Ich klopfte an die Tür. «Mach auf, Jürgen, ich muss aufs Klo.»
    Ich glaube, er hörte mich gar nicht. Er erklärte ihr die Vorzüge der Todesstrafe für den Delinquenten. Einen biederen Bauerssohn zu Schwerverbrechern ins Gefängnis stecken, wo er mit seinem Gewissen und seiner latenten Neigung zum eigenen Geschlecht allein und eine willkommene Beute war, wo er elend vor die Hunde gehen musste, so rachsüchtig wollte er nicht sein. Man mussteauch an die Kosten denken. Unkraut gehörte aus dem Boden gerissen und verbrannt.
    «Jürgen, mach auf, ich möchte mir die Zähne putzen und ins Bett.» Ebenso gut hätte ich meine Zahnbürste auffordern können, zu mir zu kommen. Ich wartete noch ein paar Minuten, bis ich es nicht mehr aushielt, ihm zuzuhören. Dann putzte ich das Fenster im Esszimmer, das kann man nachts viel besser als am Tag. In der Dunkelheit sieht man jeden Streifen. Nachdem ich das festgestellt hatte, putzte ich auch die anderen Fenster. Anschließend saugte ich die Teppiche ab, wischte die Diele und die Küche, polierte die Tische, Schränke und das Telefon blank.
    Als Jürgen am Samstagmorgen nach unten kam, glänzte das Erdgeschoss, als sei Mutter durchgezogen. «So ist’s gut», sagte er. «Man muss sich beschäftigen.

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