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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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noch länger bei Vater zu sitzen, fragte nur noch: «Wo ist Mutter?»
    Er lächelte immer noch, gelöst und zufrieden.
    «Ich habe sie losgeschickt, mir ein anständiges Frühstücksbrötchen und eine Zeitung zu besorgen. Das Brot hier ist so pappig, es schmeckt mir nicht. Und deine Mutter braucht ein bisschen Bewegung und frische Luft. Aber freiwillig geht sie ja nicht.»
    Nur eine Viertelstunde später war ich wieder daheim. Jürgen saß im Esszimmer vor einem Stapel Patientenkarten. Er war ruhig, wirkte ebenso gelöst und zufrieden wie Vater.
    «Wo warst du?»
    «Bei Vater. Habe ich doch gesagt. Dann habe ich mir noch schnell den Papierkram aus der Praxis geholt. Ich dachte, ich mach das hier in aller Ruhe.»
    «Was?»
    «Die Abrechnung, Vera. Gestern war Quartalsende. Ich bereite so weit alles vor, dann kann Jasmin es am Montag rasch in den Computer tippen.»
    «Aber das ist doch alles im Computer.»
    Er lächelte mich nachsichtig an. «Nicht alles, Vera. Nun lass mich arbeiten. Du hast doch sicher auch noch was zu tun. Was hältst du davon, ein paar Einkäufe zu machen?»
    «Nichts», sagte ich.
    Ich blieb den ganzen Samstag in seiner Nähe, ließ ihn nicht aus den Augen. Die notwendigen Einkäufe übernahmen Anne und Patrick. Auch am Sonntag wich ich nicht von seiner Seite. In der Nacht zum Montag erzählte er mir, dass Vater im Laufe der kommenden Woche in die Reha-Klinik verlegt werde. Wir lagen schon eine Weile im Bett, als ihm das einfiel.
    «Dann dauert es nicht mehr lange und sie sind beide wieder hier. Ich glaube, ich sollte mich um den Garten kümmern, was meinst du? Ich werde ja wohl imstande sein, ein bisschen Unkraut zu rupfen. Oder ich engagiere Otto für einen oder zwei Tage. Sonst bekommt Vater den zweiten Schlag, wenn er heimkommt.»
    Am Montag fuhren wir zusammen in die Praxis. Anne fuhr mit dem Rad ins Dorf, kettete ihr Gefährt an der Haltestelle an und nahm den Schulbus. Beim Mittagessen erzählte sie uns von Armin, der bei Udos Geständnis den Schock seines Lebens bekommen hatte. Armins Vater wollte nun die Polizei verklagen.
    Der Nachmittag war ruhig, obwohl viel zu tun war in der Praxis. Aber die Ruhe war auch mehr in meinem Hirn. Ich konnte immer nur für die nächsten zwei oder drei Minuten denken. Wenn ich versuchte weiterzudenken, landete ich unweigerlich in einem schwarzen Loch, mitten im Nichts, mitten im Tod.
    Der Abend war noch ruhiger. Anne fuhr mit Patrick ins Kino, kam kurz nach elf zurück, da hatten wir gerade unseren Schlummertrunk geleert und waren auf dem Weg nach oben.
    Am Dienstag wurde Rudi Kuhlmann aus dem Krankenhaus entlassen. Das war der 4.   Oktober. Gretchen rief abends an, um uns zu erzählen, Kuhlmann sei wieder daheim. Mit Udo unter einem Dach!
    «Wenn das nur gut geht», sagte sie. «Früher war Kuhlmann ein vernünftiger Mensch. Solange Annegret da war, wusste er immer, was gut und richtig ist. Wenn er’s nicht selbst wusste, hat sie’s ihm schon erklärt. Aber jetzt   … Der Alte gibt einfach keine Ruhe.»
    Und am Donnerstag kam Klinkhammer in die Praxis. Komisch, es waren immer die Donnerstage, an denen die Katastrophen geschahen.
    Es war schon spät, nach sechs. Sandra Erken war zu ihrem Arbeitsrhythmus zurückgekehrt und um zwölf gegangen. Den größten Teil des Nachmittags hatte ich im Labor verbracht. Ich wollte zu Jürgen in den Untersuchungsraum und sah Klinkhammer bei Jasmin an der Anmeldung stehen.
    Das Erste, was mir auffiel, war seine Frisur. Er hatte sich die Haare schneiden lassen. Sie waren so kurz, dass er nur noch einen Schwamm brauchte, um sich zu frisieren. Er drehte sich zu mir um, als er meine Schritte hörte. Sein nacktes Gesicht sah aus, als hätte man ihm Sellerie und Möhren zu Mittag serviert. Seine Stimme klang, als würge er noch an den matschigen Brocken. «Ist Ihr Mann zu sprechen?»
    Ich führte ihn ins Sprechzimmer und sagte Jürgen Bescheid. Er kam ein paar Minuten später. In der Zeit hatte Klinkhammer mich mit diversen Blicken gemustert, die ich nicht einschätzen konnte, die mir nur Angst machten.
    Jürgen setzte sich hinter den Schreibtisch, bot Klinkhammer den Platz davor an. Er zog es vor, stehen zu bleiben, fixierte Jürgen.
    «Rudi Kuhlmann ist tot!»
    Danach war es so still, dass ich Jasmin durch die geschlosseneTür atmen hörte. Jürgen saß da wie aus Wachs gegossen. Ich fand, ich sollte irgendetwas sagen, aber ich hatte nichts im Kopf, nur Tote. Annegret tot, die beiden Kinder tot, Kuhlmann tot, die Stute

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