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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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Jesse. »Überhaupt heißt es,
daß sie bei den alten Leuten gut ankäme. Das muß
wohl daran liegen, daß ihre Art der Nachrichtenmoderation sie
an ihre Jugendzeit erinnert.«
    »Hmm. Ich erinnere mich überhaupt nicht an die alten
TV-Nachrichten, aber auf der Oberschule habe ich im
Geschichtsunterricht viele alte Nachrichtensendungen gesehen, und ich
weiß noch, wie langweilig die waren.«
    Jesse nickt nachdenklich. »Ich verstehe. Den Nachrichten
fehlte das gewisse Etwas, richtig?«
    »Genau. Das fehlte ihnen. Und diese paar Schiffe mitten im
Ozean…«
    »…die mit aller Kraft versuchen, dem Wirbelsturm zu
entrinnen«, ergänzt Jesse. »Das ist reichlich
dramatisch. Und es gibt Mütter mit Kindern auf dem Träger
– auf Midway gab es eine Siedlung mit einer Schule für die
Soldatenfamilien.«
    »Ja, aber wir wissen nicht, wer diese Leute sind, nur
daß sie eben in den Nachrichten vorkommen«, legt Mary Ann
dar. Sie hat sich jetzt aufgesetzt und wirkt richtig elektrisiert;
Jesse erkennt, daß sie sich nun auf ihrem Fachgebiet bewegen,
in dem sie natürlich bestens Bescheid weiß. »Das war
nämlich der Grundgedanke von Doug Llewellyn; Passionet ist dadurch groß geworden, weil er wußte, daß
die Menschen über andere Menschen informiert sein wollen. Viele
Leute haben die alten Nachrichten nur wegen der Moderatoren gesehen,
was auch plausibel war. Das Gefühl für die Bedeutung einer
Sache und ihren Hintergrund erhält man nämlich nur dann,
wenn man die Reaktionen einer Bezugsperson beobachtet. So haben wir
schließlich auch als Kinder neue Dinge rezipiert. Das Problem
mit den alten Nachrichten bestand darin, daß man zwar die
Bilder sah, aber nicht selbst vor Ort war. Stell dir nur mal vor, bei
der Berichterstattung über den Holocaust hätten die Leute
sich in die Rolle der KZ-Wärter versetzen
können…«
    »…oder sich selbst in den Ofen schieben lassen«,
meint Jesse mit einem morbiden Gefühl.
    »Gut, von mir aus auch das. Und überlege doch mal, welch
ein Gefühl es gewesen sein müßte, sich bei den ersten
Raumflügen in die Astronauten hineinzuversetzen.«
    »Nun, zumindest haben wir alle die erste Marslandung aus der
Perspektive von Oberst Tynan gesehen. Ja, du hast wohl recht –
die Leute auf diesem Schiff kommen mir irgendwie gesichtslos vor.
Andererseits würde mich schon interessieren, ob sie es schaffen
oder nicht.«
    »Ja, aber stell dir doch nur mal vor, wie es wäre, auf
dem Deck zu stehen.« Ihr Blick schweift in die Ferne und wirkt
dabei ein wenig traurig; Jesse erkennt die Melodramatik des Vorgangs
– sie nimmt wieder eine ihrer ›Eines-Tages-muß-ich-
wieder-an-die-Arbeit‹-Posen ein.
    »Du könntest dabei ums Leben kommen«, gibt Jesse zu
bedenken, wie jedesmal, wenn sie in dieser Stimmung ist.
    »Ja – aber das Honorar, das dabei rausspringen
würde!« Sie grinst ihn an. »Keine Sorge, so schnell werde ich dich nicht wieder in die düstere
Realität stürzen. Aber langsam denke ich wieder ans
Geschäft – und im Grunde geht es nur darum. Es ist gefährlich – ist es immer schon gewesen. Ernie Pyle ist
schließlich auch in den Stiefeln gestorben.«
    »Du bist ihm doch nie begegnet.«
    Sie schnaubt und bewirft ihn mit einem Sofakissen, woraufhin sich
auf dem Sofa eine Rangelei entwickelt; als sie sich dann wieder dem
Bildschirm zuwenden, werden gerade die Baseball-Ergebnisse
eingeblendet.
     
    Eine halbe Stunde bevor Mary Ann und Jesse den Fernsehbeitrag
über die Evakuierung von Midway verfolgen, schlägt der
Fallstrom von ›Clem‹ erneut einen Haken und nimmt Kurs nach
Nordwesten. Das Auge von ›Clem‹ befindet sich jetzt bei 169
Grad West 31 Grad Nord, und seine Ausläufer suchen gerade das
mehrere hundert Kilometer entfernte Midway heim, mit einer
Stärke von 19 auf der Beaufort-Skala – mehr als
ausreichend, um Häuser zum Einsturz zu bringen und Boote auf den
Strand zu werfen; was den Japanern 1942 mit ihren Luftangriffen nicht
gelungen ist, findet nun in wenigen Minuten auf der aufgelassenen
Basis statt. Die massiven Gebäude bleiben zwar stehen, aber die
Fensterscheiben zersplittern, und oft werden die Dächer wie
Bananenschalen abgeschält; weniger solide Gebäude,
Strommasten, Anlegestellen und alle anderen Einrichtungen, die der
vollen Wucht des Sturms preisgegeben sind, werden zertrümmert,
über dem Meer verstreut oder gegen die noch stehende
Infrastruktur geschleudert. Jede Palme auf der Insel wird
gefällt, und als schließlich die riesige Flutwelle
über die

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