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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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ich also heranfahre
und wir vier Fässer in den Lieferwagen stellen und mit Wasser
füllen, dann haben wir einen Ballast von fast einer Tonne. Und
Wassermangel haben wir jetzt sicher nicht zu
befürchten.«
    Tomás schlägt ihm auf die Schulter. »Señor
Callare, Sie sind ein brillanter ingeniero. Und wie Sie
richtig sagten, sind Sie sowieso schon naß.«
    Diesmal ist es nicht so schlimm, denn er weiß, daß ihm
der Rückweg durch das Wasser erspart bleibt. Er ist beeindruckt
von der Pflege, die Tomás dem Fahrzeug angedeihen
läßt – der Wagen springt sofort an. Aus dem
Gedächtnis orientiert er sich im Garten, folgt dem Pfad und
peilt die Tür zum Wirtschaftsraum an. Mit einem Satz hoppelt er
vom Pfad in den Schlick, wo sich vormals Rosen, Mulch und Kompost
befanden, aber obwohl die Räder zunächst durchdrehen,
greifen sie wieder, und dann steht er neben der Mauer, gerade zwei
Schritte von der Tür entfernt.
    Als er ins Haus stürzt, sagt Tomás: »Darf ich Sie
etwas fragen, Señor?«
    »Nenn mich Jesse. Bis der Sturm vorüber ist, machen wir
einen auf Demokratie.«
    »Darf ich dich dann etwas fragen, Jesse?«
    »Sicher.«
    »Warum sind wir denn nicht früher auf die Idee gekommen,
den Wagen ans Haus zu fahren, damit du nicht dreimal den ganzen Weg
zurücklegen und die Drahtrolle schleppen
mußtest?«
    Jesse sackt der Unterkiefer hinunter, und dann brechen beide in
Gelächter aus.
    Es ist auch so noch schwierig genug, die leeren Fässer den
knappen Meter zum Lieferwagen zu schaffen, und als sie endlich fertig
sind, steht der Wirtschaftsraum mehrere Zentimeter unter Wasser, aber
nachdem sie die Fässer erst einmal im Fahrzeug untergebracht
haben, müssen sie nur noch einen Schlauch holen und sie
füllen.
    Während die Fässer vollaufen, gehen sie auf den
Dachboden, sondieren die kritischen Punkte und umwickeln die
Dachbalken mit Draht. Außerdem ziehen sie ihn noch durch
Bohrungen in den Balken. Jetzt wäre wirklich eine sehr hohe
Kraft erforderlich, um das Dach abzuheben.
    Während dieser Verrichtung laufen sie immer wieder nach
unten, um die Fässer zu beschicken, so daß das Haus und
der Lieferwagen gleichzeitig gesichert werden. Nachdem sie die
größtmöglichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen
haben, verschwindet Tomás im großen Bad, und Jesse geht
nach oben, um sich umzuziehen.
    Mary Ann überreicht ihm drei Handtücher und einen Satz
trockene Kleidung. »Der Powerchip sorgt wenigstens
dafür, daß die Waschmaschine und der Wäschetrockner
funktionieren, solange das Haus noch steht.«
    »Was ist mit der Wasserversorgung?«
    »Wir haben eine Zisterne.« Sie deutet auf ein Fenster,
und Jesse schlägt sich selbst an die Stirn. Er genehmigt sich
eine schnelle warme Dusche, geht dann in die heiße Sauna in
ihrem Bad und genießt die Trockenheit und Wärme.
    * * *
    Naomi Cascade ist tatsächlich nach Tehuantepec gefahren,
wobei sie sich über den Unsinn dieser Maßnahme durchaus im
klaren war, aber ihre innere Stimme wandte sich dagegen, daß
sie sich in Sicherheit befand, während so viele ihrer Bekannten
in Gefahr waren; also ist sie gefahren. Sie ist gerade rechtzeitig
eingetroffen, um wie alle anderen auch zu erkennen, daß es
keine Evakuierung geben wird.
    In dem Augenblick, als Jesse nur dreihundert Kilometer
südöstlich unter der heißen Dusche steht, sucht sie
mit einigen Schülern, die sich mit dem Rücken an eine Mauer
gekauert haben, Schutz vor dem Sturm. Sie mußte sich schon
mehrmals beherrschen, um nicht aufzuschreien: zuerst, als das Dach
sich ablöste, wie ein großer Drachen in die Luft stieg und
sich wenig später in seine Einzelteile auflöste; dann, als
die Innenwand in einem Schauer aus Putz und Mörtel
zerbröckelte und nur eine leere Fläche zwischen ihnen und
der gegenüberliegenden Außenmauer zurückließ;
und nun wird diese Mauer zusehends abgetragen. Vier Kinder klammern
sich an sie, und wenn sie dem Wind erst einmal direkt ausgesetzt
sind, wird sie unmöglich imstande sein, alle festzuhalten.
    Sobald die Wand weit genug abgetragen ist, wird sich die volle
Wucht des Windes entfalten.
    Soweit sie es beurteilt, nimmt die Windstärke weiter zu. In
den letzten Nachrichten hat sie gehört, daß das Auge
direkt über Tehuantepec hinwegziehen wird.
    Sie wünschte, Jesse wäre hier, denn ihre Intuition sagt
ihr, daß die Mauer mit abnehmender Höhe immer langsamer
abgetragen wird, aber sie ist sich eben nicht sicher und glaubt
daher, daß der Wissenschaftler, wie sie ihn insgeheim nennt,

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