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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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zugeht; der Pegel schwankt zwar, fällt aber nie auf
Null.
    Der Vater, ein schwarzhaariger junger Mann mit einem weißen
Hemd, und die Mutter, die unglaublich gut geschminkt, schlank und
hübsch ist für eine Frau, die vermutlich all diese Kinder
geboren hat, kümmern sich gleichermaßen um die Kinder und
haben das Chaos im Griff, aber es ist eindeutig ein Kampf, und
Berlina schaut amüsiert zu. Sie beendet für eine Weile die
Observierung der Straße und widmet sich ihrem Erdbeereis und
den Bemühungen der Eltern, die beide eine Eistüte in der
Hand haben und denen es sogar gelingt, ihr Eis auch zu essen,
während sie ständig die Münder ihrer Kinder
abputzen.
    Als die Eistüten auf ein Niveau abgeschmolzen sind, bei dem
weitere Ferkeleien unwahrscheinlich sind, verschwindet die Familie,
wobei die Kinder durcheinanderplappern, und als Berlina wieder die
Stirnseite des Restaurants betrachtet, schrickt sie plötzlich
zusammen und schaut auf die junge Frau, die still an ihrem Tisch
Platz genommen hat.
    »Hi«, sagt das Mädchen. »Ich wollte Sie nicht
erschrecken, aber Sie sind nicht von hier, stimmt’s?«
    »Nur auf der Durchreise«, erwidert Berlina. Irgendwie
stört es sie doch, daß sie hier Aufmerksamkeit erregt, wo
sie sich eigentlich bedeckt halten wollte.
    Das Mädchen macht den Eindruck einer ganz normalen Studentin;
sie ist nicht geschminkt, und ihrem Kleid nach zu urteilen
gehört sie keiner Studentenverbindung an; aber es ist recht
figurbetont und wirkt zeitlos modisch. Wenn es überhaupt etwas
signalisiert, dann einen Hauch von Konservativismus. Das Mädchen
lächelt. »Keine Bekannten hier?«
    »Im Grunde nicht. Sind Sie immer so neugierig?«
    »Gott, nein, aber ich muß unerkannt aus der Stadt
verschwinden. Ich bin keine Verbrecherin oder so. Es ist nur wegen
dieses Kerls, mit dem ich zusammen war, und… nun… er ist
nett, aber auch schon älter, und er meint es ernst, aber ich
nicht…«
    Berlina stellt die naheliegende Frage: »Ist er
gefährlich?«
    »Nur, wenn man viele Briefe und Anrufe als gefährlich
betrachtet. Und das wird es wohl auch noch, denn er wird Memos
plazieren, und wer kommt heutzutage schon ohne Computer aus? Erst
gestern habe ich ein Memo von einem alten Freund bekommen, der noch
immer unten in Mexiko ist und ›Clem Zwei‹ dort abgeritten
hat.« Das Mädchen nimmt einen Schluck Sodawasser und sagt
dann: »Da quatsche ich Ihnen nun die Ohren voll. Ist ja
lächerlich. Es hat einen halben Tag gedauert, bis ich mich
getraut habe, jemanden um eine Mitfahrgelegenheit zu bitten. Es
fällt mir nicht leicht, jemanden um einen Gefallen zu
bitten.«
    Berlina lächelt sie an. »Mir auch nicht. Wenn ich Ihnen
nun sagen würde, ich hätte auch ein paar Geheimnisse, und
ich will wirklich nicht damit hausieren gehen, wären Sie dann
zur Diskretion imstande?«
    »Diesen Eindruck mache ich nicht gerade, stimmt’s? Aber
ich bin trotzdem diskret, wirklich.« Sie streicht sich das lange
braune Haar aus dem Gesicht und vom Oberteil des figurbetonten
Kleids, und nun begreift Berlina, weshalb ein älterer Mann mit
Geld sich für dieses Mädchen interessieren könnte; sie
hat eine beneidenswerte Figur, und außer den klaren,
leuchtenden Augen hat sie noch schön geschwungene Wangenknochen
und volle Lippen. »Ich habe nur drei Koffer dabei – anfangs
waren es zwei, aber, meine Güte, der Typ war so spendabel, aber
trotzdem… nun, wenn Sie neugierig sind, könnte ich Ihnen
unterwegs etwas erzählen; das heißt, falls Sie mich
überhaupt mitnehmen wollen…«
    »Ich tue alles für eine irre Geschichte«, sagt
Berlina grinsend.
    »Hoffentlich sind Sie nicht enttäuscht. Übrigens,
ich heiße Naomi Cascade.« Mit maskulinem Gestus streckt
sie die Hand aus, und Berlina schüttelt sie feierlich.
    »Meinen Namen sage ich Ihnen etwas später –
für eine Weile muß ich ihn wirklich verschweigen. Sie
haben mich nicht einmal gefragt, in welche Richtung ich
fahre.«
    »Oh, ›einfach nur weg von hier‹ ist doch irgendwie
romantisch, finden Sie nicht?« erwidert Naomi.
»Außerdem führt sowieso nur die 70 raus aus dieser
Gegend, und das bedeutet entweder rüber zum Co oder runter ins
Az. Mir wäre beides recht.«
    Berlina nickt, und damit ist die Sache klar. Sie verstauen Naomis
drei Koffer in Berlinas Auto und steigen dann selbst ein. Naomi nimmt
im Fond Platz, denn Berlina wird auch nach hinten kommen, sobald sie
das Leitsystem erreicht haben, und weg sind sie.
    Ursprünglich hatte Berlina geplant, zurück

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