Die Mutter aller Stürme
nach Denver
und dann Richtung Norden zu fahren, um dort die 80 rüber zum Ca
zu nehmen; auf diese Art wollte sie die Gefahr verringern, daß
(falls überhaupt jemand den Anruf zurückverfolgt hat) sie
mit dem Anruf für Harris Diem in Verbindung gebracht wird. Weil
aber ohnehin schon ein Zipfel ihrer Tarnung gelupft ist, kann sie
auch einen anderen Kurs einschlagen – sie wird die direkte
Südroute durch den Az nehmen, den mexikanischen Bundesstaat
Sonora durchqueren und bei Tijuana wieder in die Staaten
einreisen.
Als sie dann unterwegs sind, fragt Berlina Naomi beiläufig:
»Haben Sie schon mal Sniffings gesehen?« Dann nimmt
sie das Kopftuch ab. Das Mädchen bekommt große Augen, und
Berlina erinnert sich nicht, daß ein Mensch jemals so
beeindruckt gewesen wäre. Jedenfalls nicht wegen Berlina.
Nach zwei Stunden sind sie zwar noch keine Freundinnen, aber auf
dem besten Weg, welche zu werden, und Berlina fragt sich, ob sie
nicht vielleicht eine persönliche Assistentin einstellen sollte.
Naomi hat noch einige Sachen bei ihren Freundinnen an der U des Az,
so daß der Gedanke eigentlich naheliegt.
Außerdem verschafft ihr das die Möglichkeit, Utah 24 zu
umgehen, Goblin Valley auszuweichen und durch eine Wüste und
einen Nationalpark zu fahren, um ihre Spur noch gründlicher zu
verwischen. Die beiden lehnen sich zurück, genehmigen sich ein
paar große Limonaden und arbeiten an ihrer Freundschaft.
Am neunundzwanzigsten Juli erhält Louie Tynan eine
Sechzehn-Terabyte-Botschaft von Carla; es ist ein Bericht über
die Ereignisse in Dhaka, als die im Gefolge des Zweiten Globalen
Aufstandes ausgebrochenen Kämpfe von der Flutwelle aus der Bucht
von Bengalen zum Erliegen gebracht wurden. Es ist ihm
buchstäblich nicht möglich, das zu verdrängen;
während er die vom Mond abgeschossenen Pakete aufsammelt (die
›Schußkadenz‹ hat sich erhöht, die Abstände
zwischen den Paketen werden immer geringer, und der Strom ist bereits
auf achtundsiebzig Pakete angewachsen, wobei die Good Luck noch immer die Nachhut bildet), hat er ständig das Bild von
zweihundertfünfzig Millionen Menschen vor Augen, die in den
Ozean gespült werden… und der üblen Dinge, die sich
zuvor ereignet hatten… aber auch des Mutes und der Redlichkeit
vieler Menschen…
Er hält es nicht mehr aus; als er seinen Körper
überprüft, stellt er fest, daß er vor Übelkeit
würgt.
Die Bucht von Bengalen ist überall. Die großen
Flutwellen werden an vielen Stellen zuschlagen. Und obwohl der
Verlust von Bangladesh, des größten Teils von Burma und
Westbengalen sicher unglaublich viele Todesopfer gefordert hat,
weiß Louie – besser als sonst jemand, denn er hat einen
weiteren geistigen Horizont als sonst jemand –, was der Verlust
auch nur eines Menschenlebens bedeutet.
Der Schrecken will nicht von ihm weichen.
Er haßt die Körperlichkeit wie noch nie, als er
schließlich doch wieder in seinen Körper schlüpfen
muß. Es gibt so viel zu tun, und so, wie er hier die Zeit
vergeudet, ist er für niemanden mehr eine Hilfe. Er macht
Gewichtheben und setzt sich auf einen Heimtrainer, um die Muskeln zu
kräftigen, wo seine Kollektoren und Reaktoren in jeder Sekunde
die Energie einer kleinen Atombombe liefern. Er spielt gegen sich
selbst Raquetball, um die Augen-Hand-Koordination nicht
verkümmern zu lassen, wo er doch als Raumschiff eine
dreimillionenmal schnellere Reaktionszeit wie als Mensch hat. Er
stopft organische Materie in sich hinein, damit sie im Magen zu
Energie verbrennt, wo seine Solarzellen, He-3-Fusionskraftwerke und
Schnellen Brüter ihm den milliardenfachen Energiebetrag
bereitstellen. Teufel, selbst die unmittelbare physikalische
Wahrnehmung, wie ihm der Dödel steigt, verblaßt angesichts
der physikalischen Eindrücke, die Carla ihm schickt und die er
dann ergänzt, so daß jeder von ihnen den Sex auch aus der
Perspektive des Partners erlebt.
Louie wünschte sich, in seiner virtuellen Existenz vor einem
knisternden Kaminfeuer ein gutes Mahl zu genießen, sich nackt
in einem den Konturen seines Körpers angepaßten Sessel zu
räkeln und sich von atemberaubend schönen, lüsternen
und willigen Frauen bedienen zu lassen. Hier draußen in der
Einsamkeit der kleinen Blechdose, in der er lebt, kann er sich nur
eine Tüte Bananenflocken oder Dörrfleisch aufmachen, wobei
die Gerüche von Maschinenöl, Louies Überresten und der
Toilette sich vermischen. Der flache Sitz ist nur deswegen bequem,
weil Louie in der verringerten
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