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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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ohne sich bei jemandem abgemeldet zu
haben, nach Green River, Utah; so muß sie nicht aus Denver
anrufen, wo die Gefahr besteht, daß sie observiert wird.
    Als sie ihn schließlich erreicht, wirkt er erschöpft
und elend, um nicht zu sagen erschrocken.
    »Ich habe nicht viel Zeit«, sagt sie ohne weitere
Einleitung. »Einige unmarkierte Pakete sind zu Ihrem
Privatanschluß unterwegs. Ich verfüge über hieb- und
stichfeste Beweise, daß ein Plan existiert, Abdulkashim aus dem
Gefängnis in Stockholm zu befreien und ihn in Sibirien wieder an
die Macht zu bringen. Die Aktion ist für den zweiundzwanzigsten
September geplant, einen Tag vor dem Beginn der Gerichtsverhandlung.
Ich werde die Geschichte achtundvierzig Stunden früher bringen,
oder noch eher, falls der Termin vorverlegt wird oder Sie einige
Verhaftungen vornehmen. Sie müssen sich nicht verpflichtet
fühlen, Mr. Diem, aber ich würde mich über ein
Exklusiv-Interview freuen, wenn Sie die Sache bereinigt
haben.«
    »Es wäre mir sogar ein Vergnügen«, sagt er mit
einem düsteren Lächeln. Plötzlich ist der Ton weg, und
seine Lippen formen eine Wortfolge, die sie nicht identifiziert;
welche Anweisung auch immer er soeben seinem Hausanschluß
erteilt hat, er unterbricht das Gespräch sofort. Vielleicht, um
Abhörversuche zu unterbinden.
    Berlina hat noch ein wenig Zeit, und es darf nicht nur bezweifelt
werden, daß dieser Anruf registriert wurde; es ist auch
unwahrscheinlich, daß an diesem abgelegenen Ort ein Agent
postiert wurde. Also verdunkelt sie die Fenster, bindet sich ein
Kopftuch um, schlüpft in ihre Schuhe und geht in einem Diner essen. Dort hat es ihr immer schon am besten geschmeckt.
    Es ist ein schöner Tag; in diesen Höhenlagen bleibt die
Temperatur auch an schönen Sommertagen erträglich, und das
Panorama um die Stadt ist spektakulär. Viele Menschen nicken ihr
freundlich zu, und das löst eine amüsante Überlegung
bei ihr aus; früher war Utah kein Ort für Schwarze, und das
ländliche Utah noch weniger. Jetzt aber nicht mehr…
dafür haben die Europäer schon gesorgt. Als sie alle
›Kanaken‹ vertrieben und ihren erbärmlichen kleinen
Kontinent ›gesäubert‹ hatten…
    Sei ehrlich, Berlina, es hat dir dort gefallen, es war deine
Heimat, du bist nur sauer – weil du nicht zurückkehren
darfst, ärgerst du dich. Aber wenn sie es dir gestatten
würden, wärst du sofort wieder drüben.
    Sie haßt es, sich selbst gute Ratschläge zu geben, und
überhaupt war das auch nicht der Punkt. Was diese
Veränderungen in Utah und gleichzeitig auch in Mississippi und
Detroit und im ganzen Land verursacht hat, war der Kleine Kalte
Krieg, die trilateralen Spannungen zwischen den USA, Japan und
Europa. Dabei ging es um Wirtschaftsfragen, Macht, die Ressourcen auf
dem Boden der Meere und im Weltraum sowie Zugang zu den Märkten
der Dritten Welt. In dem Maße, wie die Japaner und
Europäer zu rassistischen Gegnern aufgebaut wurden, wurde
Rassismus zunehmend ›unamerikanisch‹. Die Hälfte
dieser lächelnden und winkenden Leute würde bei dem
Gedanken, sie bei sich duschen zu lassen, wahrscheinlich kotzen, aber
Freundlichkeit kostet sie nichts und wertet sie gegenüber den
Europäern auf. Sie hat schon Geschichten aus den alten Zeiten
gehört, als Flüchtlinge aus Rußland wie die Maden im
Speck jahrelang von der Großzügigkeit von Antikommunisten
gelebt hatten; weil sie gern Hemden und vor allem Hosen mit der
grün-rot-schwarzen Europa-Flagge anzieht, nur daß die
Farben in der umgekehrten Reihenfolge erscheinen, verscherzt sie sich
wohl diesen Status.
    Sie fragt sich, ob die hiesige Bevölkerung auch zu
einheimischen Schwarzen so höflich ist wie zu
Afropäern.
    Wie dem auch sei – es ist ein schöner Tag.
Außerdem macht sie ein Diner im original klassischen
Stil ausfindig, mit Linoleum mit Karomuster, einer Stahltheke mit
Resopalbeschichtung und schönen alten, drehbaren
Naugahye-Barhockern. Wie immer bestellt sie das Gericht mit der
ausgefallensten (und in ihren Augen amerikanischsten) Bezeichnung
– den ›Chili Dog Over Mac‹, der sich dann als Hotdog
mit einer faden, süßlichen Soße auf einer Pampe von
Käsemakkaroni erweist.
    Das Restaurant ist ziemlich leer; dort sitzt eine junge Familie
mit einer unüberschaubaren Kinderschar, wobei der
Altersunterschied jeweils ein Jahr beträgt. Die Kinder verhalten
sich überwiegend ruhig und gesittet, aber rein statistisch ist
diese Population so groß, daß es immer irgendwo laut und
ungesittet

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