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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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der
Vollmond und ist ganze sieben Mal so groß.
    Er würde gerne innehalten, um sich selbst zu bewundern, aber
es wird ohnehin noch einige Stunden dauern, bis Alice ihn sieht, und
es sind ihre Augen, durch die er gerne sehen möchte. Inzwischen
arbeiten die Zugmaschinen und Fabriken auf Hochtouren. Er möchte
die ›Eis-Frisbees‹ so schnell wie möglich fliegen
lassen.
     
    Als Carla aufwachte und sie ansprach, hatten die Cybernetiker der
NSA einen Tag im Außendienst, zumindest so lange, bis sie den
Evakuierungsbefehl erhielten. Sie hatten jetzt schon mit zwei
Fällen zu tun, in denen eine Persönlichkeit im Netz
überlebte, nachdem sie ihren ursprünglichen Körper
verloren hatte. Wenigstens wären ihnen Louies Behauptungen jetzt
glaubwürdiger erschienen – wäre nicht der Komet, der
sich nun in der Erdumlaufbahn befand, selbst schon ein gewichtiges
Argument gewesen.
    Fernab vom Sturm bemühen sich die NSA-Büros in der Mitte
von Nordamerika ebenso verzweifelt wie erfolglos, das Wiedersehen von
Louie und Carla aufzuzeichnen. Der nutzbare Frequenzbereich wird
dadurch blockiert, daß Louie und Carla anscheinend Daten
austauschen und integrieren, und es ist nur gut, daß zwei
Milliarden Menschen vom Netz abgeschnitten sind, denn die beiden
belegen neunzig Prozent der verfügbaren Kapazität.
    Wozu benötigen sie alle gespeicherten Daten jeder
Immissions-Meßstation in Bolivien – oder die sich
stündlich ändernden Wechselkurse der Bank von Frankreich
der letzten zweihundert Jahre, oder die Wahlergebnisse aller
Wahlbezirke des Staates Nevada bei Wahlen auf Kommunal-, Staats- und
Bundesebene in Korrelation zu den Volkszählungsergebnissen
– warum sie das alles wissen wollen, ist unbegreiflich, aber sie
greifen nach allem. Binnen drei Sekunden hat Carla die Sicherungen
der Gentechnik-Labors des Verteidigungsministeriums durchbrochen,
DNA-Karten von jeder dort katalogisierten Spezies kopiert und alle
diese Angaben an Louie übermittelt.
    Was auch immer sie tun, man kann kaum etwas dagegen sagen.
Abgesehen davon, daß man sie nicht aufhalten kann, sind weder
die NSA in Denver noch Präsidentin Hardshaw in Charleston daran
interessiert, Louie von seinem Hauptvorhaben abzuhalten.
    Die Satellitenbilder zeigen es am deutlichsten. Eine große,
wirbelnde Eisscheibe, deren Durchmesser das Zehnfache der alten
Raumstation Constitution beträgt, bricht aus dem Halo des
Kometen hervor und zieht, im Schein der Sonne glänzend,
Dunstschleier hinter sich her. Sie wirbelt immer näher heran,
bis sie den Bildschirm fast ausfüllt, am unteren Rand
vorbeifliegt und auf den schäumenden Pazifik
hinunterstürzt.
    Der weiße Scheibe färbt sich im Sonnenlicht orange,
dann rötlich; dann verschwindet die Scheibe für
längere Zeit aus dem Blickfeld, bis schließlich unten
Wolken aufwallen.
    Louie verdunkelt plangemäß den Himmel über dem
Pazifik.
     
    Die Tag-Nacht-Grenze verläuft jetzt genau über den
Gipfeln der Anden in Chile und Argentinien, und bald wird auch
über Nordamerika die Sonne untergehen, so daß es nur noch
fünf Stunden dauert, bis über dem Pazifik die Nacht
hereinbricht. Inzwischen schießt Louies Schleuder zehn
Frisbee-Scheiben pro Stunde ab, die in Spiralen zur Erde hinabgleiten
(wobei 2026RU von der Perspektive der Erde aus gegenwärtig auf
demselben Längenkreis liegt wie Kapstadt), in die dünne
äußere Luftschicht rasen und große Kondensstreifen
aus Eiskristallen bilden.
     
    In dem schönen, alten Haus mit Blick aufs Meer klingelt das
Telefon; es ist später Abend, und Dr. Nathan Zulu wollte gerade
zu Bett gehen, nachdem er einige Stunden lang Literaturklausuren von
Studenten des zweiten Studienjahres benotet hat.
    »Hallo, Dr. Zulu.«
    »Wer spricht, bitte?« Der Telefonbildschirm ist
dunkel.
    Das nun entstehende Bild ist eine Animation, und nicht einmal eine
besonders gute. »Mein Name ist Louie Tynan…«
    »Ja, Sir!« Er fragt sich, wann dieser seltsame Traum
begann.
    »Ich möchte Sie um einen großen Gefallen bitten;
könnten Sie Alice veranlassen, ihre Datenbuchse zu aktivieren
und in, sagen wir, fünfzehn Minuten in den Hinterhof zu kommen,
um sich etwas anzuschauen?«
    Mit der perfekten, absurden Logik eines Traums weist er ihn darauf
hin, daß sie schon im Bett liege und schlafe, aber Louie Tynan
verspricht, daß er es kurz machen werde, und überhaupt sei
es ja nur dieses eine Mal…
    Immer noch in der Erwartung, daß er gleich aus diesem Traum
erwachen werde, geht er nach oben und holt Alice,

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