Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme
Autoren: John Barnes
Vom Netzwerk:
Tourismus hier unten zu
fördern, und so zahlten sie eine Riesensumme an Passionet, um das Land für den Tourismus zu erschließen. Und ich
war noch neu im Geschäft, so daß ich überhaupt nicht
wußte, bei welcher Art von Schlägen das Publikum den
Schmerz auch spürt – und deshalb fühlte ich mich in
Oaxaca nicht wohl.
    Weißt du, das Presidente ist ein wunderschönes Hotel,
direkt am Zócalo, und ich war vorher nie richtig gereist, und
so war hier dieser wundervolle exotische Platz, und am ersten Tag
haben mir die neuen Brüste und der Hintern so weh getan,
daß mir das Gehen schwerfiel.
    Außerdem ging der Kerl, der mit mir eingestellt wurde –
er hat dann bald wieder gekündigt – nicht nur grob mit
meinem Körper um, sondern richtig dumm und egozentrisch, so
daß es überhaupt keinen Spaß machte, mit ihm
irgendwohin zu gehen. Er war nur auf Positionen erpicht, wo der
Lichteinfall es mir erlaubte, ihn anzusehen – als ich die
Kathedrale besichtigte, pflanzte er sich draußen im Sonnenlicht
auf und schmollte, wenn ich nicht in seine Richtung sah, und als ich
mir anschaute, wie das Sonnenlicht die weißen Gebäude
beschien, versuchte er, sich für irgendeine düstere Szene
in einem film noir in Positur zu setzen.
    Als wir dann zum Paseo Juárez hinaufstiegen, stempelte ich
den blöden Bastard endgültig als hoffnungslosen Fall ab
– es war ein großer, schöner, offener Platz, der von
hohen Bäumen gesäumt wurde und in dessen Mitte sich ein
großer Brunnen aus der spanischen Kolonialzeit befand –
und jedesmal, wenn ich mich aufrichtete, um einen Blick hinunter auf
die zu diesem Brunnen führenden Wege zu werfen, schob er sein
ziseliertes Gesicht vor meins.
    Aber er bekam keinen Anschiß von Passionet; sie waren
wütend auf mich, weil ich mich nicht ans Drehbuch hielt. Es
störte sie nicht, daß er zu dumm war, der armen,
süßen Synthi mit dem großen Busen etwas zu
erklären. Man mußte ihn jedesmal ausblenden, denn er war
gerade einmal imstande, das zu wiederholen, was sie ihm soufflierten,
und selbst dann klappte es noch nicht. Es störte sie auch nicht,
daß er sich wie in einem Freizeitpark aufführte. Es
störte sie noch nicht einmal, daß er offensichtlich nicht
die geringste Vorstellung davon hatte, wie er sich in den Typ Mann
verwandeln sollte, in den sich jede Frau sofort verliebte.«
    »Nun gut, vielleicht hat er keinen Anschiß bekommen,
aber du hast doch gesagt, sie wären ihn losgeworden«,
erinnert Jesse sie.
    Mary Ann scharrt mit den Füßen im Schmutz und kickt ein
paar Steine den Hügel hinunter. »O nein, das mußte
ganz einfach so kommen. Er war einfach kein Publikumsmagnet. Das
wurde von ihm erwartet; die Produzenten des Netzes verstehen nicht,
weshalb ein eitles, hirnloses Arschloch kein Publikum findet, weil
die meisten von diesen Produzenten nämlich selbst eitle,
hirnlose Arschlöcher sind und einfach nicht kapieren, wie man
sich daran stören kann. Aber wenn man jemanden findet, der beim
Publikum ankommt – wie ich, zum Beispiel, und Synthi Venture war
von Anfang an ein glänzender Erfolg, wenn man nur die
Einschaltquoten betrachtet – dann ist es für so eine Person
sehr wichtig, eine
Wunderbar!-Großartig!-Riesig!-Super!-Prima!-Großartig!-Lächeln!-Einstellung
zu haben!« Sie vollführt bei jedem Wort einen kleinen
Ausfallschritt und eine pumpende Armbewegung, und Jesse erhascht
einen Blick auf die Mary Ann, die es niemals richtig verwunden hat,
in einer Wohnwagen-Kolonie aufzuwachsen, wo zwar hübsche
Mädchen, aber keine Königinnen und Cheerleader aufgezogen
werden. Er fragt sich, ob ihm vielleicht etwas fehle, weil er keine
Kindheits-Traumata mit sich herumschleppt, die für permanente
Verbitterung sorgen; vielleicht werden die anderen Menschen ihn
deswegen immer für etwas oberflächlich halten.
    Sie schnaubt und spricht dann weiter: »Siehst du, wenn man
jemanden hat, der sich wirklich ein Publikum schafft, dann hat das
unter anderem zur Folge, daß ein großer Teil des
Publikums die Welt mit den Augen ihres Idols betrachtet. Dafür
zahlen die Leute schließlich. Und schon gar nicht sollen sie
eine zynische Weltsicht bekommen; vielmehr sollen sie alles und jeden
lieben. Ich meine, als mir klar wurde, daß Lance Squarejaw,
oder wie auch immer er hieß – ich weiß nicht einmal
mehr seinen Namen – bloß ein gut gekleideter Untermensch
war, dann war es, abgesehen von der Abweichung vom Drehbuch, diese
geringfügige Tatsache, welche die ganze Konzeption, die Welt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher