Die Mutter aller Stürme
sieht er sie die Beherrschung
verlieren. »Weil du wahrscheinlich die Sorte Mann bist, die
will, daß ich es einfach nur genieße, klar? Es ist schon
schlimm genug, daß du nur an dich selbst denkst, aber dann
verlangst du auch noch, daß auch ich nur an mich selbst denke! Ich fasse es einfach nicht, daß du mich dazu
überreden willst, selbstsüchtig und egozentrisch und linear
zu sein!«
Die Sache endet dann so, daß sie die nächsten Stunden
einen philosophischen Diskurs führen. Als Jesse
schließlich zu Bett geht, ist er nicht nur erschöpft; weil
das Apartment so winzig ist, hat er nicht einmal die Option des
Masturbierens, um sich Erleichterung zu verschaffen. Am Tag darauf
besteigt Naomi das kleine VTOL-Flugzeug, schießt senkrecht in
den strahlend blauen tropischen Himmel, und fort ist sie. Sie wird
auf dem Flugplatz von Tehuantepec landen, noch bevor Jesse mit dem Combino dem Verkehrsgewühl des Flughafens entronnen
ist.
Dennoch gelingt es ihm, sie noch einmal zu einem Besuch zu
überreden, und dann, mitten in einem der am Zócalo
gelegenen Cafes, attackiert sie ihn (nicht hart, denn dazu
gebricht es ihr an der erforderlichen Praxis), nur weil er die
Auffassung vertreten hatte, daß ein wenig Spaß ihr
karitatives Wirken sicher nicht entwerten würde. Sie beugt sich
über den Tisch, wobei sie die Gedecke abräumt, und
schüttet einen Krug Bier über ihn aus; dann hält sie
ein Taxi an und ist verschwunden, während er noch versucht, sich
die salzige, klebrige Brühe aus den Augen zu reiben, die ihm aus
den Haaren tröpfelt.
Er überprüft seinen Vertrag mit TechsMex und
stößt auf die Klausel, daß er noch mindestens zwei
Monate hierbleiben muß, wenn er die Ablösung im Gegenwert
zweier Neuwagen nicht aufbringen kann. Wahrscheinlich hätte er
seine Schüler ohnehin vermißt. Sie sind absolut in Ordnung
– was allein schon daraus zu ersehen ist, daß drei von
ihnen Zeuge des Vorfalls mit Naomi waren und dennoch kein Wort
darüber verloren haben. Als ob das ganze
Kollektivgedächtnis, die große Klatschbörse von
Tapachula von einem Elektromagnetischen Puls paralysiert worden
wäre.
Mit Jesse in der Rolle der Ruinen des Duc.
»Und das wäre alles«, sagt Glinda Gray zu John
Klieg. »Berufe dich darauf, wenn du mit den Sibirern sprichst.
Es gibt nur die Ariane 12, den Delta Clipper III, die japanische K-4
und eine Anzahl militärischer Raumflugzeuge, die kaum mehr als
ihre Besatzungen transportieren können. Ansonsten besteht keine
Transportmöglichkeit; nur die NAOS kann die Monster ins
All bringen. Theoretisch wären auch die Russen und Chinesen zum
Bau neuer Trägerraketen imstande, aber dann müßten
sie wieder ganz von vorne anfangen.
Und günstiger könnte es gar nicht kommen. Ariane startet
in der Karibik, der Delta Clipper III vom Luftwaffenstützpunkt
Edwards und die K-4 in Kageshima. Alles gefährdete Orte –
aber nicht annähernd so gefährdet wie Kingman Reef, von wo
aus die NAOS die Monster starten lassen will. Laut Prognose
der Meteorologen werden Ende Juni alle Basen, von denen Flüge
mit mehr als zwei Personen starten können, schließen
müssen.«
»Verstehe«, sagt Klieg. Er mustert Glinda von oben bis
unten; sie trägt ein edles pinkfarbenes Lederkostüm und die
dazu passenden Schuhe. Man sieht der Aufmachung an, daß sie
teuer war, und so muß man den Sibirern auch entgegentreten.
»Erinnere dich daran, was der Kulturexperte gesagt hat.
Bemühe dich, unterwürfig zu wirken, als ob du eine
Sexsklavin wärst.«
Glinda grinst ihn an. »Wenn jemand mich soweit bringen
könnte, Liebling…«
Sein Herz macht einen Sprung. Bei diesem Spiel geht es um alle
Murmeln, wenn es denn jemals welche gegeben hat – sie haben
erreicht, daß die Hälfte des sibirischen
Regierungsapparates nach Islamabad fliegt, wo Diskretion und zugleich
westlicher Komfort gewährleistet sind. Allein die
Einfädelung dieses Projekts hat Klieg bisher viermal so hohe
Kosten verursacht wie die Gründung von GateTech.
Er kann von Glück sagen, daß Glinda hier ist. Niemand
hat jemals einen besseren Partner für eine solche Aktion gehabt;
sie vergißt nichts, koordiniert alles und ist doch bereit, die
Lieblingsdame im Harem zu spielen, damit das Geschäft
zustandekommt.
Und jetzt ist sie am Zug, nicht Klieg. In den letzten zehn Tagen
hat er viel über die Zukunft nachgedacht – auf welche Uni
Derry gehen wird, wie die Häuser aussehen müssen, solange
er, Glinda und Derry zusammen darin wohnen, wenn Derry
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