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Die Mutter der Königin (German Edition)

Die Mutter der Königin (German Edition)

Titel: Die Mutter der Königin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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beuge mich über das Bett und hebe ihn hoch. Er liegt schlaff in meinen Armen, es ist, als würde ich einen Leichnam anheben. Richard nimmt ihn mir ab und geht voran in unser Schlafzimmer.
    «Was hat er?», fragt er, als er den Jungen auf unser Bett legt. «Es ging ihm doch den Tag über gut.»
    «Fieber, mehr weiß ich auch nicht», sage ich hilflos. «Bleib bei ihm, ich geh etwas holen.»
    «Ich kühle ihn mit einem nassen Schwamm», schlägt er vor. «Er scheint ja zu brennen. Ich versuche, seine Temperatur zu senken.»
    Ich nicke und gehe schnell in meinen Destillationsraum. Dort steht ein Glas mit getrockneten Blättern der Schafgarbe, und an einem Balken hängt ein Bündel ihrer weißen Blüten. Ich setze einen Topf Wasser auf und mache einen Aufguss aus den Blüten, dann weiche ich die Blätter in einer Schüssel mit abgekochtem Wasser ein. In meiner Eile bin ich ungeschickt, die ganze Zeit klingt die Musik in meinen Ohren, als wollte sie mir sagen, dass die Zeit verstreicht, dass es ein Klagelied ist, dass dieses Aufgießen mit dem Duft der Sommerernte für Lewis zu spät kommt und dass ich nur noch Rosmarin für ihn brauche.
    Ich nehme das Gebräu in der Tasse und die eingeweichten Blätter in dem Glas und renne wieder hinauf ins Schlafzimmer. Auf dem Weg dorthin klopfe ich an die Tür meiner Kammerzofe und rufe: «Anne, steh auf, Lewis ist krank», und kann schon hören, wie sie sich drinnen zu schaffen macht.
    Dann betrete ich unser Schlafzimmer.
    Richard hat das Feuer geschürt und weitere Kerzen angesteckt, aber er hat die Bettvorhänge zugezogen, um Lewis’ Gesicht abzuschirmen. Lewis hat sich weggedreht, und seine dünne, kleine Brust hebt und senkt sich bei seinem schnellen Atem. Ich stelle Tasse und Glas auf dem Tisch ab und gehe zum Bett.
    «Lewis?», flüstere ich.
    Als er meine Stimme hört, öffnet er flatternd die Augenlider.
    «Ich will ins Wasser», sagt er ziemlich klar.
    «Nein, bleib bei mir.» Ich weiß kaum, was ich sage. Ich richte ihn auf, sodass sein Kopf an meiner Schulter liegt, und Richard drückt mir den Becher mit dem Aufguss der Schafgarbe in die Hand. «Nimm einen kleinen Schluck», bitte ich ihn sanft. «Komm schon. Nur einen kleinen Schluck.»
    Er dreht den Kopf weg. «Ich will ins Wasser», wiederholt er.
    Richard sieht mich verzweifelt an. «Was meint er denn damit?»
    «Er spricht im Fieberwahn», sage ich. «Es hat nichts zu bedeuten.» Ich habe Angst vor dem, was es bedeutet.
    Lewis lächelt, seine Augenlider öffnen sich noch einmal flatternd, und er sieht seinen Vater lächelnd an. «Ich werde schwimmen, Vater», sagt er bestimmt. «Ich werde schwimmen», und damit wendet er den Kopf ab und holt Luft, wie jemand, der sich auf einen Sprung in kühles Wasser vorbereitet. Ich spüre, wie sein Körper zuckt, vielleicht vor Freude, und dann ganz ruhig und still wird, und so ist mein Sohn von mir gegangen.
    «Öffne das Fenster», sage ich zu Richard.
    Wortlos dreht er sich um und öffnet das Fenster, als wollte er die kleine Seele hinaus in den Himmel entlassen. Dann kommt er zurück und macht das Kreuzzeichen auf Lewis’ Stirn. Er ist noch warm, aber er wird schon langsam kühler, das süße Wasser seines Traums spült ihn wohl fort.
    Anne klopft an die Tür, öffnet sie und sieht, wie ich Lewis sacht aufs Bett lege.
    «Er ist von uns gegangen», sage ich zu ihr. «Lewis hat uns verlassen.»
    Ich weiß kaum, was ich tue, und gehe zu Richard, der mich in den Arm nimmt und an sich zieht. «Gott segne ihn», sagt er leise.
    «Amen», sage ich. «O Richard, ich konnte nichts tun. Ich konnte überhaupt nichts tun!»
    «Ich weiß», sagt er.
    «Ich gehe nach den anderen Kindern sehen», sagt Anne in die Stille. «Und dann hole ich Mrs. Westbury, damit sie den Leichnam wäscht.»
    «Ich wasche ihn», widerspreche ich sofort. «Und ich ziehe ihn an. Ich will nicht, dass irgendein anderer ihn anfasst. Ich lege ihn auch …» Das Wort «Sarg» will mir nicht über die Zunge.
    «Ich helfe dir», sagt Richard leise. «Und wir begraben ihn auf dem Kirchhof. Wir wissen, dass er uns vorangegangen ist, Jacquetta, und dass wir eines Tages auch im Wasser schwimmen werden. Wir werden ihn auf der anderen Seite wiederfinden.»

    Wir begraben meinen Sohn auf dem Kirchhof in der Nähe seines Großvaters, und Richard bestellt einen großen Grabstein mit genug Platz für all unsere Namen. Die anderen Kinder haben sich nicht mit dem Fieber angesteckt, selbst das Neugeborene, Martha, ist gesund

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