Die Mutter der Königin (German Edition)
mich nicht gerade. Ich sehe mich auf unserem Hof um: die Mauern aus roten Ziegelsteinen, die oben von weißen Abdecksteinen begrenzt werden, der Apfelbaum an der Kapelle, dessen Zweige sich unter dem Gewicht der letzten schweren Früchte biegen, die Scheune, die an den Getreidespeicher grenzt, bis oben hin voll Heu, und mittendrin unser Haus, warm im Sonnenschein, friedlich an diesem Morgen, während meine Kinder im Unterricht sind. Ich denke, dass der König meinem Gemahl eine fast unlösbare Aufgabe aufträgt und dass ich wieder in ein neues Land, in eine neue Stadt reisen muss und nur hoffen kann, irgendwie unter den Menschen dort, denen unsere Anwesenheit missfällt, zu überleben.
Ich versuche mich damit aufzumuntern, dass die Gascogne im Herbst schön ist und ich vielleicht meine Geschwister wiedersehen kann, dass der Winter in Bordeaux frisch und klar ist und der Frühling herrlich sein wird. Aber ich weiß genau: Die Menschen des Landes sind unwirsch und gegen uns aufgebracht, die Franzosen eine dauernde Bedrohung, und wir werden ewig auf das Geld für die Soldaten warten müssen, nur um ihnen den Sold schließlich aus eigener Tasche zu zahlen. Und währenddessen wird man zu Hause endlose Anschuldigungen gegen uns vorbringen. Ich will nicht gehen, und Richard soll auch nicht gehen.
Ich warte lange. Endlich erscheint der königliche Bote wieder im Hof, wischt sich den Mund am Ärmel ab und vollführt, als er mich sieht, eine Verbeugung. «Ihr könnt Seiner Gnaden ausrichten, dass mein Gemahl und ich sofort nach Plymouth aufbrechen», sage ich. «Es ist uns eine Ehre, ihm zu dienen.»
Er lächelt trübselig, als wüsste er, dass der Dienst für diesen König eine Ehre sein kann, aber nur für eine Handvoll Günstlinge auch einträglich ist, die damit durchkommen, gar nichts zu leisten oder sogar gänzlich zu versagen, wie Edmund Beaufort, Duke of Somerset, der inzwischen Constable von England geworden ist zur Belohnung dafür, dass er nach Kenilworth geflohen ist, als in Kent gefährliche Arbeit anstand.
«Gott schütze den König», sagt der Bote und geht zum Stall, um sein Pferd zu holen.
«Amen», antworte ich. Vielleicht sollten wir darum beten, dass der König vor sich selbst geschützt wird.
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Plymouth
HERBST 1450–1451
E in ganzes Jahr reisen wir zwischen Grafton, London und Plymouth hin und her. Ein Jahr, in dem wir uns mit den Bürgern von Plymouth auseinandersetzen und sie zu überreden suchen, eine ganze Armee zu beherbergen und auszustatten. Ein Jahr, in dem mein Gemahl aus den privaten Schiffen der Kaufleute, der Händler und der Handvoll großer Lords, die eigene Schiffe besitzen, eine Flotte zusammenstellt. Mitten im Winter – eigentlich sollten wir seit Monaten fort sein – hat er mehr als achtzig Boote an den Kais von Plymouth, Dartmouth und Kingsbridge vertäut und mehr als dreitausend Mann in Herbergen, Zimmern, Hütten und auf Bauernhöfen überall in Devon und Cornwall untergebracht, die nur eines tun: warten.
Wir tun nichts anderes. Vom Herbst über den Winter bis zum Frühjahr warten wir. Erst warten wir darauf, dass die Männer, die uns von ihren Lords versprochen worden sind, nach Plymouth marschieren, bereit zum Einschiffen. Richard reitet ihnen entgegen und sammelt sie, er sucht Unterkünfte und Essen für sie und verspricht ihnen Sold. Dann warten wir auf die angeforderten Schiffe; Richard reitet durch den ganzen Südwesten Englands, kauft in den Häfen kleine Segelschiffe und verlangt von den größeren Kaufleuten, dass sie etwas beitragen. Dann warten wir auf den Proviant. Richard reitet nach Somerset, sogar bis nach Dorset, um Getreide zu besorgen. Dann warten wir darauf, dass die Lords, die mit der Armee in See stechen sollen, sich nach den Weihnachtstagen auf den Weg nach Plymouth machen. Dann warten wir auf den Befehl des Königs, dass wir endlich lossegeln sollen, und dann darauf, dass die Nordwinde des Frühlings vorübergehen. Und all die Zeit über warten wir immerzu auf das Schiff, das uns das Geld aus London bringt, damit wir die Kaufleute in den Häfen bezahlen können, die Schiffseigner, die Seeleute und die Soldaten selbst. Wir warten, aber das Geld kommt nie dann, wenn es kommen soll.
Manchmal kommt es zu spät, und Richard und ich haben schon nach Grafton und an unsere Freunde bei Hofe geschrieben, sie mögen uns Geld leihen, damit wir wenigstens die Armee beköstigen können, bevor die Männer die umliegenden Bauernhöfe
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