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Die Mutter der Königin (German Edition)

Die Mutter der Königin (German Edition)

Titel: Die Mutter der Königin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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leidenschaftlich gern. Er kommt zu mir, um sich die Bilder in den alten lateinischen und französischen Folianten, die ich von meinem ersten Gemahl geerbt habe, anzusehen und sich den Kopf über die Wörter in den schwer entzifferbaren Handschriften zu zerbrechen. Ab Herbst können seine Geschwister und er nicht mehr vom Priester unterrichtet werden. Ich muss einen Gelehrten für ihren Unterricht suchen. Vor allem Lewis muss jetzt lernen, auf Latein und Griechisch zu lesen und zu schreiben, wenn er bald aufs King’s College gehen soll.
    Das Kind kommt mitten im August, und wieder wird die Familienwiege heruntergeholt und poliert, wieder werden die kleinen Laken gewaschen, während ich mich für die Zeit vor der Geburt zurückziehe. Die Geburt ist leicht, das Mädchen kommt schnell und ohne große Schmerzen, und ich nenne es Martha. Nur ein paar Wochen später bringt Richard sie in die kleine Kapelle, in der wir geheiratet haben, und sie wird getauft. Bald werde auch ich wieder gesegnet und bin munter und auf den Beinen.
    An sie denke ich, an das Neugeborene, als ich eines Nachts aus dem Bett hochschrecke, als hätte mich jemand gerufen. «Was ist?», frage ich in die Finsternis hinein.
    Richard setzt sich schlaftrunken auf. «Geliebte?»
    «Jemand hat mich gerufen! Es ist etwas passiert!»
    «Hast du schlecht geträumt?»
    «Ich dachte …» Unser herrliches altes Haus ist dunkel und still, irgendwo ächzt es im alten Gebälk. Richard steigt aus dem Bett und entzündet einen Kienspan am erlöschenden Feuer, damit er mich sehen kann. «Jacquetta, du bist weiß wie ein Geist.»
    «Ich dachte, jemand hätte mich geweckt.»
    «Ich sehe mich mal um», sagt er, zieht seine Stiefel an und zerrt das Schwert unter dem Bett hervor.
    «Ich gehe in die Kinderstube», sage ich.
    Er zündet mir eine Kerze an, und wir gehen hinaus in die dunkle Galerie über der Eingangshalle. Und dort höre ich es. Der kräftige, süße Gesang Melusines, so hoch und so rein, dass man es für das Sphärengeräusch der Sterne halten könnte. Ich lege Richard die Hand auf den Arm. «Hörst du das?»
    «Nein, was denn?»
    «Musik», flüstere ich. Ich will ihren Namen nicht nennen. «Ich dachte, ich hätte Musik gehört.» Es ist so klar und so kraftvoll, ich kann einfach nicht glauben, dass er es nicht hört, so klar wie silberne Kirchenglocken, so klar wie der reinste Chor.
    «Wer sollte denn zu dieser späten Stunde Musik machen?», fragt er erstaunt, aber ich renne schon den Flur zur Kinderstube hinunter. Ich zwinge mich, die Tür leise zu öffnen. Martha, die Neugeborene, schläft friedlich in der Wiege, ihre Amme liegt auf einem Lager beim Feuer. Marthas rosige Wange ist warm, aber sie hat kein Fieber. Ihr Atem kommt langsam und gleichmäßig, wie der eines Vogels in seinem sicheren Nest. Neben ihr, im Gitterbett, schläft der kleine Richard zusammengerollt, das Gesicht in der Matratze vergraben. Vorsichtig hebe ich ihn hoch und drehe ihn um, sodass ich die Wölbung seiner geschlossenen Augenlider und seinen Rosenknospenmund sehe. Bei der Berührung regt er sich, aber er wacht nicht auf.
    Die Musik wird lauter, kräftiger.
    Ich wende mich zum nächsten Bett. John, unser Fünfjähriger, hat sich im Schlaf ausgestreckt, als wäre ihm zu heiß gewesen. Die Decken hat er weggetreten, und sofort fürchte ich, dass er krank ist, aber auch seine Stirn ist kühl. Neben ihm schläft Jacquetta so leise wie das ordentliche sechsjährige Mädchen, das sie ist, und auch Mary im selben Bett rührt sich beim Licht meiner Kerze, aber sie schläft weiter. Auch ihre elfjährige Schwester Anne in dem Bett neben ihnen schläft fest.
    In dem größeren Bett setzt sich der achtjährige Anthony auf. «Was ist, Mama?»
    «Nichts, gar nichts», beruhige ich ihn. «Schlaf weiter.»
    «Ich habe Gesang gehört», sagt er.
    «Hier singt niemand», sage ich entschieden. «Leg dich wieder hin und mach die Augen zu.»
    «Lewis ist ganz heiß», bemerkt er, aber dann legt er sich wieder hin.
    Schnell bin ich an dem Bett. Die beiden Jungen schlafen zusammen, und als Anthony sich umdreht, sehe ich, dass Lewis, mein Liebling Lewis, ganz erhitzt ist. Das Bett ist heiß von seinem Fieber. Als ich ihn ansehe und das anhaltende Singen höre, weiß ich, dass Lewis, mein geliebter zwölfjähriger Sohn, im Sterben liegt.
    Hinter mir öffnet sich die Tür, und mein Gatte Richard sagt leise: «Das Haus ist sicher. Sind die Kinder gesund?»
    «Lewis.» Mehr bringe ich nicht heraus. Ich

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