Die Mutter der Königin (German Edition)
schaffen gerade die Schmuckschatulle und Kleidertruhe der Königin durch die Tür der großen Halle hinaus zu den Ställen. Die Königin steht draußen, ihre Wache sitzt auf. Sie zieht sich die Kapuze über den Kopf und nickt ihrem Sohn zu, als er mit mir vor die Tür tritt.
«Sitz auf, wir müssen uns beeilen», sagt sie. «Die bösen yorkistischen Lords haben gesiegt. Vielleicht haben sie deinen Vater gefangen genommen. Wir müssen dich in Sicherheit bringen. Du bist unsere einzige Hoffnung.»
«Das weiß ich», sagt er ernst und steigt auf den Aufsitzblock. Sie führen sein Pferd vor.
«Jacquetta», sagt sie zu mir, «ich schicke nach Euch, sobald ich in Sicherheit bin.»
Mir dreht sich alles im Kopf, so schnell geht diese wilde Flucht. «Wo reitet Ihr hin?»
«Zunächst zu Jasper Tudor nach Wales. Wenn wir von dort einfallen können, werde ich das tun, wenn nicht, dann aus Frankreich oder Schottland. Ich werde das Erbe meines Sohnes zurückerobern, dies ist nur ein kleiner Rückschlag.»
Sie lehnt sich aus dem Sattel herunter. Ich küsse sie und streiche ihr eine Strähne unter die Haube. «Gott sei mit Euch!» Ich versuche, die Tränen in meinen Augen fortzublinzeln, denn es bricht mir schier das Herz, wie sie mit ihrem Gepäck, ihrer Wache und ihrem kleinen Sohn aus dem Land flieht, in das ich sie voller Hoffnungen gebracht habe. «Gott sei mit Euch!»
Ich stehe im Hof, als der kleine Tross zur Straße zieht, und sehe zu, wie er in einem ruhigen Kanter den Weg nach Westen einschlägt. Wenn sie zu Jasper Tudor gelangt, ist sie in Sicherheit. Er ist ein treuer Mann und hat für seine Ländereien in Wales gekämpft, seit sie ihm verliehen wurden. Doch wenn sie unterwegs in einen Hinterhalt gerät? Mich schaudert. Wenn man ihr unterwegs auflauert, sind sie und das Haus Lancaster verloren.
Ich wende mich zum Stallhof. Schon tragen die Stallburschen alles fort, dessen sie habhaft werden können. Die Plünderung der königlichen Besitztümer hat begonnen. Ich rufe nach einem meiner Männer. Er soll alles zusammenpacken, was mir gehört, und es bewachen. Wir brechen bald auf. Wir gehen nach Hause nach Grafton, und ich kann nur hoffen, dass auch Richard und Anthony dort hinkommen.
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Grafton, Northamptonshire
SOMMER 1460
D er Ritt nach Grafton ist ermüdend, eine lange Reise von fast einhundert Meilen durch ein Land, das dem Eindringling Warwick treu ist. Bei jedem Halt werden panisch Nachrichten ausgetauscht: Was wissen wir? Was haben wir gesehen? Und immer die Frage: Marschiert die Königin mit ihrer Armee hier vorbei?
Ich befehle meinen Männern zu erzählen, ich sei eine Witwe allein auf Pilgerreise, und in der ersten Nacht kommen wir in einer Abtei unter, in der zweiten in einer Kirche. In der dritten Nacht legen wir uns zum Schlafen in eine Scheune, die Wirtshäuser meiden wir. Trotzdem höre ich jeden Abend die Gerüchte, die durch das Land wirbeln. Es heißt, der König sei nach London gebracht worden und Richard, Duke of York, sei aus Irland gelandet und ziehe in großem Prunk zur Hauptstadt. Einige behaupten, wenn er dort anlange, werde er wieder Lord Protector und Regent, andere meinen, er werde den König hinter den Kulissen lenken, der König werde wieder zu seinem Püppchen. Ich sage nichts. Doch ich frage mich, ob die Königin sicher nach Wales gelangt ist und ob ich meinen Gemahl je wiedersehen darf.
Wir brauchen vier Tage, um nach Grafton zu kommen, und als wir den vertrauten Weg zum Haus einschlagen, wird mir leichter ums Herz. Wenigstens kann ich meine Kinder sehen und sicher und ruhig bei ihnen hierbleiben, während die großen Veränderungen im Land ohne mich vonstattengehen. Hier finde ich Zuflucht. Als wir uns nähern, wird im Stallhof die Glocke geläutet, um den Haushalt vor unserem bewaffneten Trupp zu warnen. Die Haustür geht auf, und Soldaten kommen aus dem Haus gestürmt. Allen voran – ihn kann ich unmöglich verwechseln, ihn würde ich überall erkennen – mein Gemahl Richard.
Er sieht mich im selben Augenblick und kommt die Stufen so schnell heruntergesprungen, dass meine Stute scheut und ich sie zügeln muss. Schon zieht er mich aus dem Sattel in seine Arme und küsst mein Gesicht. Ich klammere mich an ihn. «Du lebst!», sage ich. «Du lebst!»
«Sie haben uns ziehen lassen, sobald sie in England an Land gegangen sind», sagt er. «Wir mussten nicht einmal ausgelöst werden. Sie haben uns einfach aus der Burg in Calais gelassen; ich musste nur ein
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