Die Mutter der Königin (German Edition)
diesen kalten Tagen, an jedem Abend, in Wirtshäusern, Abteien oder Gutshäusern reden die Menschen über die Armee der Königin wie über eine einmarschierende fremde Streitmacht, eine Quelle des Schreckens. Sie sagen, sie hätte Soldaten aus Schottland, die selbst im strengsten Winter mit nackter Brust und barfuß marschierten. Sie hätten vor nichts Angst und äßen ihr Fleisch roh, sie würden das Vieh auf den Weiden jagen und ihnen das Fleisch mit bloßen Händen aus den Flanken reißen. Da sie ihnen keinen Sold zahlen kann, hätte sie ihnen versprochen, sie könnten stehlen, was sie tragen könnten, wenn sie sie nur nach London bringen und dem Earl of Warwick das Herz aus dem Leibe reißen würden.
Sie sagen, als Dank für seine Unterstützung habe sie das Land dem König von Frankreich gegeben. Er werde mit seiner Flotte die Themse hochsegeln und London verwüsten, und er werde Anspruch auf alle Häfen an der Südküste erheben. Calais habe sie ihm schon überschrieben, und Berwick und Carlisle habe sie an die schottische Königin verkauft. Newcastle werde die neue Grenze bilden, der Norden sei für immer verloren, und Cecily Neville, die Witwe Yorks, werde zur schottischen Bäuerin.
Es hat wenig Sinn, diesem Gebräu aus Entsetzen und Wahrheit widersprechen zu wollen. Die Königin ist den Menschen ihres Landes zum Schreckensbild geworden – als bewaffnete Frau, die ihre eigene Armee anführt, mit einem Sohn, gezeugt von einem schlafenden Gemahl, als Frau, die sich der Alchemie und womöglich auch der dunklen Künste bedient, als französische Prinzessin im Bund mit unseren Feinden. Mit den Schotten im Rücken ist sie zur Winterkönigin geworden, die aus der Dunkelheit des Nordens das Land heimsucht wie eine Wölfin.
Wir unterbrechen die Reise für zwei Nächte in Groby Hall, um Elizabeth zu besuchen und uns mit ihrem Gemahl zu treffen, Sir John Grey, der seine Männer aufgeboten hat und mit uns nach Norden marschieren wird. Elizabeth ist angespannt und unglücklich.
«Ich ertrage es nicht, auf Nachrichten zu warten», sagt sie. «Schreib mir, so bald du kannst. Warten ist mir unerträglich. Ich wünschte, du müsstest nicht wieder an den Hof.»
«Das wünsche ich mir auch», erwidere ich leise. «Ich bin noch nie so schweren Herzens ausgeritten. Ich bin des Krieges müde.»
«Kannst du dich nicht weigern?»
Ich schüttele den Kopf. «Sie ist meine Königin und meine Freundin. Wenn ich nicht aus Pflichtgefühl ginge, dann aus Zuneigung zu ihr. Doch was ist mit dir, Elizabeth? Möchtest du mit den Kindern nach Grafton gehen, während wir fort sind?»
Sie verzieht das Gesicht. «Mein Platz ist hier», sagt sie. «Und Lady Grey würde es nicht gefallen, wenn ich fortginge. Aber ich habe solche Angst um John.»
Ich lege meine Hände auf ihre ruhelosen Finger. «Du musst ruhig bleiben. Ich weiß, wie schwer das ist, aber du musst ruhig sein und auf das Beste hoffen. Dein Vater ist ein Dutzend Male in die Schlacht geritten, und jedes Mal war es so schlimm wie beim ersten Mal – aber er ist immer zu mir nach Hause zurückgekehrt.»
Sie nimmt meine Hand. «Was siehst du?», wispert sie. «Was siehst du für John? Um ihn fürchte ich, viel mehr noch als um Anthony oder Vater.»
Ich schüttele den Kopf. «Ich kann es nicht vorhersagen», sage ich. «Ich habe das Gefühl, als wartete ich – wie wir alle – auf ein Zeichen. Wer hätte gedacht, dass wir Marguerite d’Anjou, dieses hübsche Mädchen, nach England geholt haben, damit sie so etwas anrichtet?»
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Auf dem Marsch
FRÜHJAHR 1461
W ir reiten als kleiner Trupp, mein Schwiegersohn John, Richard, Anthony und ich voran, dahinter zu Fuß unsere Pächter und Diener. Ihre Marschgeschwindigkeit bestimmt, wie schnell wir vorankommen, und die Straße ist stellenweise überschwemmt. Als wir weiter nach Norden gelangen, fängt es an zu schneien. Ich denke daran, wie mein Lord John, Duke of Bedford, mich einst bat, die Zeichen zu sehen. Ich erinnere mich an eine Vision von einer Schlacht im Schnee, die im Blut endete, und ich frage mich, ob wir darauf zureiten.
Am dritten Tag schließlich kommt Richards Späher zurück und berichtet, dass die Landbewohner ihre Türen und Fenster verrammelt haben, weil sie glauben, die Königin sei nur einen Tagesmarsch entfernt. Richard gebietet Halt an einem Gutshaus, wo wir um ein Bett für die Nacht und eine Scheune für unsere Männer bitten wollen. Doch der Hof ist verlassen und die Tür
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