Die Mutter der Königin (German Edition)
traurig und schließe das Fenster. Augenblicklich ist die Musik gedämpft, und dann ziehe ich den schweren Vorhang vor, um die Musik genauso auszusperren wie das Mondlicht.
Sie will mich daran hindern. «Was ist das?», fragt sie. «Warum sperrt Ihr es aus? Was hat es zu bedeuten?»
«Es hat nichts mit Euch zu tun», versichere ich ihr. «Es gilt mir. Ich möchte es aussperren.»
«Warum denn? Was ist es?»
«Ich habe es schon zweimal in meinem Leben gehört», antworte ich und denke an meine kleine Schwester, die mit ihren ersten Atemzügen starb, und an den seufzenden Chor, der meiner Großtante einen flüsternden Abschied bot. «Ich fürchte, in meiner Familie ist jemand gestorben», sage ich leise. «Es ist der Gesang von Melusine.» Damit wende ich mich ab und gehe durch die dunkle Galerie in mein Schlafgemach.
Am Vormittag zeigt sie mir, wie man Kräuter trocknet, Tinkturen herstellt und mit Hilfe eines Betts aus Fett oder Wachs die Essenz einer Blüte zieht. Wir sind allein in der Destillationskammer, umgeben vom angenehmen Duft zerdrückter Blätter und der Kühle des Steinfußbodens unter unseren Füßen. Das marmorne Waschbecken ist mit kaltem Wasser gefüllt.
«Und der Gesang bringt Euch die Kunde eines Todesfalles?», fragt sie schlicht.
«Ja», antworte ich. «Ich bete, dass meine Mutter und mein Vater wohlauf sind. Dies scheint die einzige Gabe zu sein, die ich besitze: Ich weiß es im Voraus, wenn jemand stirbt.»
«Das ist hart», sagt sie nur und reicht mir Mörser, Stößel und einige Samen, die ich zerstoßen soll.
Eine Weile arbeiten wir schweigend, dann ergreift sie wieder das Wort. «Es gibt Kräuter speziell für frisch verheiratete junge Frauen», bemerkt sie, als spräche sie mit den Blättern, die sie im Waschbecken abspült. «Kräuter, die eine Empfängnis verhindern, aber auch solche, die sie fördern können. Sie stehen in meinem Rezeptbuch.»
«Ihr könnt eine Empfängnis verhindern?», frage ich.
«Ich kann sogar verhindern, dass ein Kind geboren wird, wenn eine Frau schon empfangen hat», sagt sie mit einem kleinen, ungezogenen Lächeln. «Poleiminze, Beifuß und Petersilie genügen. Ich habe die Kräuter in Euren Garten gepflanzt, falls Ihr sie braucht. Nur für den Fall.» Sie wirft einen Blick auf meinen flachen Bauch. «Und wenn Ihr ein Kind haben wollt, habt Ihr die Kräuter dafür auch zur Hand: Himbeerblätter aus Eurem Obstgarten und Wildkräuter, die man überall findet: Brennnesselblätter und Kleeblüten von der Weide.»
Ich wische mir die Hände ab und suche nach meiner Schiefertafel und der Kreide. «Sagt mir, wie man sie zubereitet.»
Margery bleibt länger als die versprochene Woche, und als sie geht, ist mein Kräutergarten fast vollständig bepflanzt, nur die Pflanzen fehlen, die auf den abnehmenden Mond warten. In der Destillationskammer stehen schon einige Flaschen mit Kräuterwein, und ein paar Bündel Kräuter sind zum Trocknen aufgehängt. Sie fährt auf einem Karren meines Lords in Begleitung ihres jungen Dieners nach London zurück, und ich verabschiede mich im Stallhof von ihr. Während ich zusehe, wie sie gelenkig auf den Karren klettert, kommt eine Wache von sechs Mann mit einem Boten in der Livree meines Lords in den Hof geritten, und Richard Woodville schwingt sich vom Pferd.
«Mylady, ich bringe eine Nachricht von meinem Lord», sagt er. «Sie ist für Euch persönlich.»
Ich strecke die Hand danach aus, obwohl mein Kinn zittert und meine Augen sich mit Tränen füllen. Ich nehme den Brief und breche das Siegel, doch vor meinen Augen verschwimmt alles, ich kann nichts lesen. «Lest es mir vor», bitte ich ihn und reiche ihm den Brief. «Sagt es mir.»
«Es gibt sicher keinen Grund, Euch zu beunruhigen …», setzt Woodville an, doch dann überfliegt er die wenigen Zeilen und sieht mich bestürzt an. «Es tut mir leid, Euer Gnaden. Es tut mir schrecklich leid. Mein Lord teilt Euch mit, dass Euer Vater gestorben ist. In Luxemburg geht die Pest um, aber Eurer Mutter geht es gut. Sie hat meinem Lord die Nachricht geschickt.» Er zögert und sieht mich an. «Ihr wisst es schon?»
Ich nicke. «Nun, ich habe es mir gedacht. Obwohl ich die Vorhänge gegen das Mondlicht zugezogen habe, weil ich den Gesang nicht hören wollte.»
Mrs. Jourdemayne, die neben dem Fuhrmann sitzt, schaut mich voller Mitgefühl aus ihren klugen Augen an. «Manchmal kann man nichts dafür, was man hört und sieht», sagt sie. «Möge der Herr, der Euch die Gabe
Weitere Kostenlose Bücher