Die Mutter der Königin (German Edition)
die Wangen zu küssen und etwas ins Ohr zu flüstern, ohne dass ich ein Wort verstehe. Als seine Lady, Herzogin Eleanor, mich küssen will, zucke ich vor ihrer Berührung zurück, als röche sie nach dem Geifer ihres Kampfhundes. Ich muss mich zwingen, in ihre kalte Umarmung zu treten, zu lächeln wie sie – ohne jede Zuneigung. Erst als sie mich freigibt und ich zurückweiche, erkenne ich, dass es gar keinen Hund gibt und nie einen gegeben hat. Es war das Aufflackern einer Vision aus einer anderen Welt, und mit einem heimlichen Schaudern erkenne ich, dass eines Tages ein schwarzer Hund die Steintreppen einer kalten Burg hinaufhetzen wird, um vor ihrer Tür zu jaulen.
Die Monate vergehen, und es wird immer deutlicher, dass meine Angst vor der Herzogin berechtigt war. Sie ist überall am Hof, sie ist die erste Dame des Landes, die Königin in allem, nur nicht dem Titel nach. Wenn der Hof im Westminster Palace weilt, bewohnt sie die Gemächer der Königin und trägt deren Juwelen. Auf Umzügen folgt sie dem König auf den Fersen. Sie behandelt ihn mit einer süßlichen Vertraulichkeit, legt ihm andauernd die Hand auf den Arm oder flüstert ihm etwas ins Ohr. Allein seine strahlende Unschuld schützt die beiden vor dem Anschein eines Komplotts. Als englische Herzoginwitwe bin ich ihrer Gesellschaft unausweichlich ausgeliefert, und ich weiß, dass sie es nicht ausstehen kann, wenn die Leute uns miteinander vergleichen. Wenn sie zum Abendessen schreitet, folge ich ihr, tagsüber leiste ich ihr mit den Hofdamen Gesellschaft, während sie mich herablassend behandelt, denn sie hält mich für eine Frau, die ihr Kapital – ihre Jugend und Schönheit – für die Liebe vergeudet hat.
«Könnt Ihr Euch vorstellen, eine königliche Herzogin zu sein und Euch so weit herabzulassen, einen Edelknecht aus Eurem Haushalt zu heiraten?», flüstert sie einer ihrer Damen zu, während ich in ihrem Gemach nähe. «Was für eine Frau würde so etwas tun?»
Ich hebe den Kopf. «Eine Frau, die den allerbesten Mann kennengelernt hat, Euer Gnaden», antworte ich. «Und nichts bereut und nicht an ihrem Gemahl zweifelt, der ihr Liebe mit Liebe vergilt und Treue mit Treue.»
Das trifft sie, denn als Geliebte, die zur Gemahlin genommen wurde, ist sie in ständiger Sorge, eine andere Geliebte könnte das wiederholen, was sie der Gräfin angetan hat, deren Freundin sie einst war.
«Es wäre keine Wahl für mich», sagt sie etwas milder gestimmt. «Keine Wahl für eine Adlige, die an ihre Familie denkt.»
Ich neige den Kopf. «Ich weiß», bemerke ich. «Doch damals habe ich nicht an meine Familie gedacht, sondern nur an mich.»
In der Mittsommernacht hält sie in Begleitung der Lords und der Edlen, die sich ihrer besonderen Gunst erfreuen, Einzug in London, mit so großem Prunk, als sei sie eine fremde Prinzessin. Als Hofdame folge ich ihr in ihrem Zug, deswegen höre ich die wenig schmeichelhaften Bemerkungen der Bürger von London, als sich die Prozession durch die Straßen windet. Ich schätze die Londoner seit meinem eigenen stattlichen Einzug in die Stadt. Sie lassen sich leicht von einem Lächeln einnehmen und ebenso schnell von Eitelkeiten aufbringen. Sie lachen über die Herzogin wegen ihres großen Gefolges, und während sie die Kappen vor ihr lüften, während sie vorbeireitet, verstecken sie dahinter ihre belustigten Gesichter. Wenn sie vorbei ist, jubeln sie mir zu. Es gefällt ihnen, dass ich einen Engländer aus Liebe geheiratet habe; die Frauen stehen am Fenster und werfen meinem Gemahl, dem der Ruf seines guten Aussehens vorauseilt, Küsschen zu, und an den Kreuzungen machen Männer derbe Bemerkungen über mich, die hübsche Herzogin. Wenn ich einen Engländer so mögen würde, könnte ich es doch zur Abwechslung auch einmal mit einem Londoner versuchen, rufen sie.
Die Londoner Bürger sind nicht die Einzigen, die Herzogin Eleanor verabscheuen. Auch Kardinal Beaufort ist kein großer Freund von ihr, und mit ihm zum Feind lebt man gefährlich. Ihr ist das gleich; sie ist mit dem Thronerben verheiratet, und der Kardinal kann nichts dagegen tun. Mir scheint, sie möchte einen Streit mit ihm heraufbeschwören, um ein für alle Mal zu entscheiden, wer über den König herrscht. Das Königreich teilt sich in diejenigen, die den Herzog und diejenigen, die den Kardinal bevorzugen, und die Lage spitzt sich zu. Ihr triumphaler Einzug in London unterstreicht den Anspruch der Herzogin.
Die Antwort des Kardinals lässt nicht lange auf
Weitere Kostenlose Bücher