Die Mutter
meine Rebecca zu erinnern - ich habe ein Foto von ihr eingepackt, für die besonders einsamen Nächte. Es ist mein Lieblingsfoto von Rebecca; sie lächelt, der Wind weht durch ihr Haar, und im Hintergrund liegt der Strand. Es ist kein großes Foto, auch kein professionelles. Es ist ein bisschen zu stark belichtet, dadurch sieht Rebeccas Gesicht blasser aus, als es tatsächlich war, aber ich war noch nie gut im Fotografieren. Es bedeutet mir alles, denn es ist eines der letzten Fotos, die ich von ihr geschossen habe - heimlich, als wir am Muttertag unten in Williamsburg waren und am Wasser ein Picknick machten. So möchte ich mich an sie erinnern: glücklich, unschuldig, voller Leben und Potential
Schon als Rebecca noch ganz klein war, hatte sie immer Krankenschwester oder Tierchirurgin werden wollen - obwohl wir nie Haustiere hatten, liebte sie Tiere. Als sie älter wurde, tendierte sie eher zur Krankenschwester, und so bewarb sie sich während ihres letzten Highschooljahrs um eine Stelle. Sie wurde sofort angenommen. Ja, das ist richtig: Mein Baby wurde an der Hochschule für eine Krankenschwesterausbildung angenommen, und darüber war sie vollkommen aus dem Häuschen. Der Tag, an dem sie es erfuhr, war der Tag nach ihrem achtzehnten Geburtstag, und so glücklich hatte ich sie lange nicht gesehen.
Seit sie sechzehn geworden war, hatte Rebecca sich verändert. Sie war immer ein stilles Mädchen gewesen, aber sie wurde noch ruhiger, und ihre normalerweise fröhliche, positive Einstellung verblasste ein wenig. Mir fiel auf, dass sie nicht mehr so viel lächelte wie früher. Natürlich machte ich mir Sorgen - das Erste, was mir in den Sinn kam, war, dass sie mit irgendeinem Jungen ausging, der sie schlug, dann, dass sie schwanger war. Diese Ängste setzten mir, wenig überraschend, sehr zu.
Sie ging ziemlich oft aus - immer mit recht anständigen Jungs -, aber einen festen Freund hatte sie nie. Nichts, was länger als einen Monat hielt. Zu jener Zeit, als sich ihr Wesen zu ändern begann, traf sie sich meines Wissens nach mit keinem Jungen; dennoch bohrte in mir der Gedanke, dass sie schwanger sein oder andere Probleme haben könnte. So fragte ich sie eines Abends, ob irgendetwas nicht in Ordnung sei. Ihre Antwort überraschte und beunruhigte mich in gewisser Weise mehr, als hätte sie mir gesagt, sie sei schwanger. Sie erwiderte, sie habe viel über ihren Dad nachgedacht und wolle ihn kennenlernen.
Vielleicht regte ich mich etwas mehr darüber auf, als nötig gewesen wäre. Schließlich war es ein vollkommen natürliches Bedürfnis für einen Teenager, darüber Bescheid wissen zu wollen. Ich erklärte ihr streng, sie solle nicht versuchen, ihn zu finden, dass er ein Nichtsnutz sei und ein Treffen mit ihm nichts Gutes bedeuten würde.
Ich war so nahe daran, ihr die Wahrheit zu sagen, aber irgendetwas hielt mich davon ab - vielleicht dachte ich, dass er keine Chance haben würde, wieder in ihr Leben zu treten, wenn ich nicht über ihn sprach. Es war irrational, aber ein Teil von mir dachte, dass, wenn ich Rebecca von ihm erzählte, irgendetwas in der Welt erwachen und er uns finden würde.
Heute wünschte ich, ich hätte ihr von ihm erzählt - ich wünsche es mir so sehr. Vielleicht hätte ich damit verhindern können, was dann passierte, denn sich mit Bad Boy Burt auseinanderzusetzen, wäre sehr viel besser gewesen als das, was Rebecca zustieß, weil ich ihr nichts von ihm erzählte.
Wie dem auch sei, danach gingen die Dinge wieder mehr oder weniger ihren gewohnten Gang - ich nahm an, Rebecca habe den Gedanken, ihren Vater zu finden, beiseitegelegt. Sie schien wieder ihr altes Selbst zu sein. Sie arbeitete hart in ihrem elften und zwölften Schuljahr, bekam gute Noten, interessierte sich nicht allzu sehr fürs Ausgehen, aber dafür umso mehr für Musik - besonders liebte sie die Discomusik der Siebziger, und ihre Lieblingsstars waren ABBA, die Bee Gees, Donna Summer und die Jackson 5 (sie mochte auch die Jacksons, aber nicht ganz so sehr). Sie drehte ihre Platten immer laut auf, wenn sie lernte. (Bei Oldies gab sie Schallplatten gegenüber CDs den Vorzug; bei modernen Sachen, wie Metallica oder den Foo Fighters, legte sie CDs auf.) Es faszinierte mich, dass sie sich überhaupt konzentrieren konnte, während >Blame it on the Boogie< aus den Lautsprechern dröhnte, aber sie konnte die Musik so weit ausblenden, dass sie sie nicht ablenkte. Ich hingegen brauchte vollkommene Stille, wenn ich meine Hausaufgaben
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